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Ziviler Ungehorsam

Klima Kleber: Rechte und Grenzen zivilen Ungehorsams

Menschen sitzen auf Straße vor Autos
Protestaktion der Letzten Generation: die Straßenblockade.

Das Thema spaltet – blockierte Straßen im Berufs­verkehr, besetzt durch Sitz- und Klebeblo­ckaden. Aktivis­tinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ nennen ihren Protest notwendig, um ihren Forderungen für Klimaschutz Gehör zu verleihen. Kontra­pro­duktiv und kriminell empfinden das Andere, und schreiten oft wütend ein um die Sitzenden von vielbe­fahrenen Verkehrs­straßen zu zerren. Anwalt­auskunft.de und der Ausschuss Strafrecht im Deutschen Anwalt­verein beantworten Fragen zur Strafbarkeit zivilen Ungehorsams sowie der Forderung nach schärferen Gesetzen, um zukünftige Aktionen zu verfolgen.


Was versteht man unter zivilem Ungehorsam?

Ziviler Ungehorsam ist eine Form des politischen Protests, bei dem Menschen bewusst und gewaltfrei gegen bestimmte Gesetze, Regierungs­ent­schei­dungen oder soziale Normen verstoßen, um auf Unrecht oder Ungerech­tigkeit aufmerksam zu machen oder Verände­rungen herbei­zu­führen. Prominente Beispiele für zivilen Ungehorsam aus Vergan­genheit und Gegenwart:

  • Anti-Atomkraft-Bewegung – gewaltfreie Blockaden gegen die Errichtung von Kraftwerken,
  • Greenpeace: Blockadeaktionen von Walfangschiffen u.a., um auf Umweltprobleme hinzuweisen,
  • 2019/2020: Hongkong – Massenproteste gegen den wachsenden Einfluss Chinas auf die Sonderverwaltungszone, u.a. mit Straßenblockaden.

Was sind die gängigsten Protest­formen zivilen Ungehorsams?

Die Form des gewählten Widerstands hängt oft auch von den Gesetzen des Ortes ab, an dem protestiert wird. So sind Protest­formen in Ländern, die schwere Strafen für zivilen Ungehorsam verhängen, mit höheren Risiken für die eigene Freiheit und körperliche Unversehrtheit verbunden. Aktuelle Beispiele werden in den Nachrichten fast täglich thematisiert. Eine Auswahl der gängigsten Protest­formen:

  • Sit-ins und Besetzungen/Blockaden
  • Hungerstreiks
  • Boykotte: Durch den Boykott von Produkten, Dienstleistungen oder Veranstaltungen können Menschen wirtschaftlichen Druck aufbauen und Unternehmen oder Regierungen dazu bringen, auf ihre Forderungen einzugehen.
  • Verweigerung von Steuern oder Gebühren: Menschen können bewusst die Zahlung von Steuern oder Gebühren verweigern, um gegen bestimmte politische Maßnahmen oder Gesetze zu protestieren.
  • Künstlerischer Protest: Kreative Formen des zivilen Ungehorsams wie Straßenkunst, Performance-Aktionen oder symbolische Gesten können genutzt werden, um Missstände anzuprangern und eine breitere Diskussion in der Gesellschaft anzuregen.
  • Whistleblowing: Durch das Enthüllen von vertraulichen Informationen oder Geheimnissen können Whistleblower Missstände oder illegales Verhalten ans Licht bringen und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen.

Rechtliche Grundlage: Worauf berufen sich Klimakleber?

Klimaak­ti­vis­tinnen und Klimaak­ti­visten nutzen zivilen Ungehorsam, um ihrer Unzufrie­denheit mit aktueller Klimaschutz-Politik Ausdruck zu verleihen. Rechtlich beziehen sie sich dabei auf folgende Gesetze:

  • Grundgesetz Artikel 20a der Bundes­re­publik Deutschland. Dieses besagt, dass der Staat in Verantwortung für künftige Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere durch Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung schützt.
  • Bundes-Klimaschutz­gesetz (KSG), § 3: Hier sind die Nationalen Klimaschutzziele festgeschrieben. Demnach sollen die Treibhausgasemissionen (CO2) bis 2030 um mindestens 65%, bis 2040 mindestens 88%, und bis 2045 um 100 Prozent reduziert werden. Das Bundesverfassungsgericht teilte am April 2021 mit:
    Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde.

Protest­ak­tionen werden damit begründet, dass die Bundes­re­gierung ihrer Verant­wortung nicht nachkomme. Entsprechend der geltenden Gesetze müsse sie wirksame Schritte für das Erreichen der Klimaschutzziele und den Schutz zukünftiger Genera­tionen umsetzen. Da dies nicht geschehe und einen „Verfas­sungsbruch“ darstelle, wolle die Aktivis­ten­gruppe „Letzte Generation“ eine nachhaltige Veränderung erwirken, indem „wir entschlossen zivilen Widerstand leisten und die rechtlichen Konsequenzen in Kauf nehmen, bis hin zu massen­haften Inhaftie­rungen von Klimaschüt­zenden über Wochen bis Monate. Gemein­schaftlich schaffen wir die notwendige Störung, um die Gesetze zu bestehenden Machtver­hält­nissen zu verändern.“ (Wertekodex, Punkt 2).

Klima-Kleber: Strafen für Nötigung

Nach etlichen bisher erfolgten Klebe-Aktionen wurden Platzverweise, Geldstrafen oder Sozial­stunden als Sanktionen ausgesprochen. In letzter Zeit wurde das Blockieren wichtiger Verkehrs­straßen mit härteren Strafen geahndet: Gerichte verurteilten mehrere Protest­teil­nehmer der Nötigung, die eine Straftat nach § 240 des Strafge­setz­buches darstellt. Danach wird mit Freiheits­strafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, „wer einen Menschen rechts­widrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfind­lichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt.“ Da drei Aktivisten in Heilbronn kurze Zeit nach einer ersten Verurteilung wieder Straßen blockierten, wurden sie zu Gefäng­nis­strafen zwischen drei und fünf Monaten verurteilt.

Klimakleber: Strafrecht verschärfen?

Aufgrund anhaltender Proteste der Aktivisten sowie einer als unzureichend empfundenen Unterbindung durch die Staats­gewalt wurde eine Diskussion über härtere Strafen für Klimakleber entfacht. Rechts­anwalt Stefan Conen, Mitglied des Ausschusses Strafrecht im Deutschen Anwalt­verein (DAV), sieht keine Notwen­digkeit dafür:

Wir brauchen keine neuen Gesetze. Was aktuell an Protest­ak­tionen passiert, ist nichts fundamental Neues. Es bedarf weder einer Verschärfung bestehender noch einer Schaffung neuer Straftat­be­stände. Die Rechtsprechung reagiert bereits und hält bestimmte Protest­formen für potenziell strafbar, etwa als Nötigung. Es gibt keinen Grund hier nachzu­steuern. Verurtei­lungen im Zusammenhang mit Klimapro­testen finden allent­halben und nicht unbedingt zurück­haltend statt.

Rechts­anwalt Dr. Christoph Bühler, Mitglied der Arbeits­ge­mein­schaft Strafrecht im DAV, ergänzt:

Der Nötigungs­tat­bestand des § 240 Strafge­setzbuch mit einer Strafdrohung mit Geldstrafe oder Freiheits­strafe bis zu drei Jahren reicht vollkommen aus, muss von den Gerichten eben nur auch ausgeschöpft werden. Was der oben angeführte Heilbronner Fall auch für den Wieder­ho­lungsfall gezeigt hat. Weiter­gehende strafschärfende Forderungen in der Politik von bestimmten Parteien sind rein populis­tischer Art.

Letzte Generation eine „kriminelle Vereinigung?“

Mediales Aufsehen erregte die bundesweite Razzia im Mai, bei der Wohnungen und weitere Räume der „Letzten Generation“ durchsucht wurden. Dabei ging es um einen Anfangs­verdacht, Straftaten mittels Spenden­geldern zu finanzieren sowie eine kriminelle Vereinigung zu bilden und/oder zu unterstützen. Das Gesetz sieht Freiheits­strafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen vor, wenn eine Person „eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist […]. Mit Freiheits­strafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt“, (§ 129 StGB). Das mögliche Strafmaß wäre hierbei also weitaus höher.

Die Debatte ist juristisch noch nicht final entschieden. Höhere Gerichts­in­stanzen befassen sich mit eben diesen Fragen, um eine eindeutige und gefestigte Rechtsprechung in Zukunft zu erreichen. Strafrechtler Dr. Bühler: „Diese Sache wird sicherlich höchst­rich­terlich (vom Bundes­ge­richtshof) geklärt werden (müssen), so wie auch jüngst die sogenannten Impfpass-Fälschungs-Fälle aus dem Jahr 2021 erst Ende letzten Jahres, […] entschieden wurden.Der Rechts­anwalt empfiehlt, dass „nicht-freispre­chende Entschei­dungen auf jeden Fall seitens der Vertei­digung angefochten werden sollten, damit sie möglichst lange nicht rechts­kräftig werden."

(Strafmün­digkeit von Kindern: Wann müssen sich Kinder vor dem Gesetz verant­worten?)

Gericht urteilt: Ziviler Ungehorsam rechtfertigt keine Straftaten

klar ist, dass der Klimaprotest nicht allein sitzend oder klebend stattfindet, sondern ebenso in Form von Sachbe­schä­di­gungen. Am 29. Juli 2022 urteilte das Oberlan­des­gericht Celle, dass Schadens­ersatz für eine mit Farbe verschmutzte Wand gezahlt werden müsse, die einer Protest­aktion zum Opfer fiel. Es handele sich um eine Symboltat, die keinen unmittelbaren Einfluss auf den Klimawandel habe. Niemand sei berechtigt, in die Rechte anderer einzugreifen, um auf diese Weise die Aufmerk­samkeit der Öffent­lichkeit zu erregen. Wer auf den politischen Meinungs­bil­dungs­prozess einwirken möchte, könne dies unter anderem in Wahrnehmung seiner Grundrechte auf Meinungs- und Versamm­lungs­freiheit oder seines Petiti­ons­rechts tun. Die Begehung von Straftaten gehöre nicht dazu. Würde man die Überzeugung der handelnden Person als Rechtfer­ti­gungsgrund akzeptieren, wäre das quasi eine Legali­sierung von Straftaten zur Erreichung politischer Ziele.

Klima-Kleber: Dürfen sich Bürgerinnen und Bürger (Not-)wehren?

Für viele Berufs­pendler und andere Verkehrs­teil­nehmer führen die Protest­ak­tionen zu Wut und Verärgerung. Einige warten nicht erst auf die Polizei, um betroffene Straßen wieder frei zu machen, sondern zerren die Sitzblo­ckaden selber unsanft von der Straße. Auch Tritte und Schläge gegen die Demons­tranten wurden gefilmt. Aber ist das überhaupt rechtens?

Nötigung und Körper­ver­letzung, sagen die Protes­tie­renden. Notwehr, finden die aufgehaltenen Autofahrer, deren sprich­wörtliche Zündschnur immer kürzer wird. Notwehr wäre keine rechts­widrige Handlung, „wenn die Vertei­digung eines gegenwärtig rechts­widrigen Angriffes gegen sich oder andere erforderlich ist(§ 32 StGB).

Aber Vorsicht: Ob die Vertei­digung wirklich erforderlich ist (weil man zum Beispiel einen beruflichen Termin wahrnehmen muss), entscheidet nicht der eigene Termin­ka­lender. Die Sitzenden haben jedenfalls auch das Grundrecht auf Versamm­lungs­freiheit – die Grenze zwischen Nötigung und ausgeübtem Grundrecht verläuft nicht immer klar. Klar ist dagegen, dass die Anwesenheit von Polizei keine Notwehr mehr erlaubt: Bürgerinnen und Bürger haben kein Notwehrrecht, wenn die Polizei vor Ort ist und eingreifen kann. Gleiches gilt für physische Gewalt am Straßenrand – ist die Straße wieder frei befahrbar, ist der Angriff nicht mehr „gegenwärtig“, wie es der Notwehr­pa­ragraf erfordert. Dann machen sich Autofah­re­rinnen und Autofahrer, so verständlich ihr Unmut auch sein mag, selbst strafbar. Auch Rechts­anwalt Dr. Bühler sieht wenig Spielraum für Notwehr: „Ein rechtlich wirksames Notwehrrecht, das nicht gegen das Übermaß­verbot verstößt, wird es in diesen Fällen nicht geben.

 

Das Thema wird uns noch eine Weile begleiten.  Anwältinnen und Anwälte zum Thema Strafrecht stehen Ihnen länger zur Verfügung, als jede Form zivilen Ungehorsams. Profes­sio­nellen Rechts­beistand zu allen Rechts­ge­bieten in Ihrer Nähe finden Sie unter anwalt­auskunft.de/anwaltssuche.

Datum
Aktualisiert am
27.06.2023
Autor
red/dav
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