Schläge, Beschimpfungen, Drohungen und manchmal Schlimmeres – häusliche Gewalt kann viele Formen annehmen. Betroffenen stehen unterschiedliche Möglichkeiten offen, sich zu schützen. Doch die Strafverfolgung ist oft schwierig. Und die Täter wandern nur in seltenen Fällen hinter Gitter.
Was ist häusliche Gewalt?
Unter häuslicher Gewalt versteht man körperliche und psychische Gewalt innerhalb einer Beziehung oder häuslichen Gemeinschaft. Das bedeutet nicht unbedingt, dass Täter und Opfer zusammen wohnen. Gewalt durch den Ex-Partner oder die Ex-Partnerin zählt ebenfalls dazu. Häusliche Gewalt kann auch in sexuellen Übergriffen, Beschimpfungen und Beleidigungen oder Einsperren bestehen.
Am weitesten verbreitet ist der Fall, dass der Mann die Frau angreift. Der Artikel geht deshalb von dieser Konstellation aus. Die Rechtslage ist aber natürlich auf andere Konstellationen übertragbar. Männer können ebenfalls von häuslicher Gewalt betroffen sein. Auch pflegebedürftige Personen können Opfer häuslicher Gewalt werden. Gleiches gilt für Kinder, entweder weil die Eltern direkt ihnen gegenüber handgreiflich werden oder weil sie bei einem Streit der Eltern zwischen die Fronten geraten.
Was tun, wenn man Zeuge häuslicher Gewalt wird, zum Beispiel in der Nachbarwohnung?
Wer mitbekommt, wie jemand gegen eine andere Person gewalttätig wird – zum Beispiel in der Nachbarwohnung – ruft am besten die Polizei. Es kann auch hilfreich sein, unter einem Vorwand in der Nachbarwohnung vorbeizuschauen. Vorsicht: Im Zweifel sollten Nachbarn das zu mehreren tun, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen.
Gerade Nachbarn spielen beim Thema Gewalt im häuslichen Umfeld eine wichtige Rolle. Aufmerksam zu sein, im Zweifel nachzufragen und Hilfe anzubieten kann Leben retten. Wer befürchtet, dass eine Nachbarin, Freundin oder Bekannte betroffen ist, kann die Person in einer ruhigen Situation alleine ansprechen und Hilfe anbieten.
Was kann ich tun, wenn mein Partner gewalttätig wird?
„Das wichtigste ist: Rufen Sie die Polizei“, rät Rechtsanwältin Michaela Landgraf, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und Mitglied im Vorstand des Münchner Anwaltvereins.
Initiativen und Beratungsstellen bieten ebenfalls Hilfe und informieren darüber, welche Angebote und Schutzmöglichkeiten es gibt. Der Frauennotruf beispielsweise berät anonym, der Weiße Ring unterstützt ebenfalls. Daneben gibt es weitere nationale und regionale Angebote wie Frauenhäuser.
Was macht die Polizei?
Die Beamten befragen zunächst das vermeintliche Opfer und den vermeintlichen Täter. Bestätigt sich die Verdachtslage eines Falles von häuslicher Gewalt, nehmen die Polizisten die Ermittlungen auf. Ist die Frau bereit, auszusagen, organisieren die Beamten nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft möglichst schnell eine Zeugenvernehmung der Frau durch den Ermittlungsrichter.
Das ist deshalb so wichtig für die Ermittler, weil sehr viele Opfer häuslicher Gewalt, nachdem sich der erste Schock über das Erlebte gelegt hat, die Aussage verweigern. Dies ist rechtlich möglich, wenn die Frau mit dem Mann verheiratet oder mit ihm verlobt ist.
Auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Opfer kann nach Erfahrung der Strafrechtlerin helfen, die notwendige Unterstützung zu leisten, sodass die Aussagebereitschaft erhalten bleibt. Das ist aber längst keine Garantie, so Rechtsanwältin Landgraf: „Häufig haben die Frauen Angst, dass ihr Partner erneut gewalttätig wird. Oder sie sind wirtschaftlich abhängig von ihm, es sind noch gemeinsame Kinder im Spiel und sie scheuen deshalb eine Aussage. Auch Scham lässt viele Frauen so einiges unter den Teppich kehren und vorschieben, der Mann habe sich geändert und ihm tue es ja auch leid.“ Habe das Opfer allerdings vor dem Ermittlungsrichter ausgesagt, könne diese Aussage vor Gericht verwendet werden. Eine Aussage vor der Polizei habe diese Wirkung nicht, wenn sich die Frau später auf ein bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht beruft.
Häusliche Gewalt: Wer muss gehen?
„Die Polizei kann ein Kontaktverbot und einen Platzverweis aussprechen“, erklärt Rechtsanwältin Landgraf. Das Kontaktverbot gelte meist zunächst für drei Tage. Der Mann muss dann die gemeinsame Wohnung verlassen. Unter Aufsicht der Polizisten darf er ein paar Sachen zusammenpacken. Die Beamten nehmen ihm den Schlüssel zur Wohnung ab.
Auch der Aufenthalt in einem Frauenhaus kann dem Opfer helfen: „In dieser Zeit hat die Frau dann Zeit und Ruhe, um sich zu überlegen, was sie weiter unternimmt“, sagt die Münchner Strafverteidigerin. Sie könne vor dem Zivilgericht einen Antrag auf Erlass eines Gewaltschutzbeschlusses stellen. „Der Täter muss dann Abstand halten und hat ein striktes Kontaktverbot“, fügt die Anwältin hinzu. Dieses sei meist auf sechs Monate befristet, könne aber verlängert werden.
Verstößt er gegen das Kontaktverbot, ist das eine Straftat. Nach §2 Gewaltschutzgesetz droht bis zu ein Jahr Haft. Diesen Gewaltschutzantrag können Betroffene beim zuständigen Amtsgericht stellen.
Der Gewaltschutzbeschluss hat auch eine wichtige Beweisfunktion, wenn es zu einer Scheidung kommen sollte und es um das Sorge- und Umgangsrecht geht. „Manchmal rüttelt der Gewaltschutzbeschluss den Mann auch schon auf und er fängt eine Therapie an“, sagt Rechtsanwältin Landgraf. Ihrer Erfahrung nach ist eine Trennung aber meist die einzige langfristige Lösung für die Frau bei übergriffigen Männern, um in Frieden leben zu können.
Wenn die Frau bei ihrer Aussage bleibt, kommt es irgendwann zu einem Gerichtsverfahren.
Welche Strafen drohen?
„Strafrechtlich geht es bei häuslicher Gewalt meist um einfache Körperverletzung, in manchen Fällen auch gefährliche Körperverletzung (wenn der Täter beispielsweise mit einem Gegenstand zuschlägt), Beleidigung, Freiheitsberaubung, Nötigung und Bedrohung“, erklärt die Rechtsanwältin. Mehr passiere ihrer Erfahrung nach in den meisten Fällen nicht, auch wenn durchaus katastrophale Eskalationsstufen immer wieder in die Medien geraten, wenn über Tötungsdelikte im häuslichen Bereich berichtet wird.
Für die meisten Straftaten im Rahmen häuslicher Gewalt sind Geldstrafen und theoretisch auch Haftstrafen möglich. „Zu einer Gefängnisstrafe kommt es aber meist nur, wenn noch andere Straftaten hinzukommen“, erklärt sie weiter. Menschen, die gegen ihren Partner oder ihre Partnerin gewalttätig werden, seien oft auch in anderen Bereichen straffällig geworden. „Häusliche Gewalt ist oft eine Begleiterscheinung von Alkohol- und Drogenabhängigkeit“, fügt Landgraf hinzu.
Hinzu kommt: Häusliche Gewalt umfasst Straftaten im sogenannten Nähebereich. Da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Hemmschwelle zur Gewalt gegenüber nahestehenden Personen niedriger ist als bei fremden Personen, drohen hier auch geringere Strafen.
Dafür, dass es selten zu Haftstrafen kommt, sorgt auch die Tatsache, dass die Täter häufig Männer und die Hauptverdiener der Familie sind oder für diese Unterhalt zahlen. Wenn sie ins Gefängnis gehen, fällt das Familieneinkommen weg und die ganze Familie leidet. Die Täter bekommen meist eine Geldstrafe und im Wiederholungsfall eine Bewährungsstrafe.
Gewaltschutzgesetz: Was ist das?
Die Maßnahmen, die die Polizei anordnen kann, fallen unter das Gewaltschutzgesetz. Es soll erwachsene Opfer häuslicher Gewalt schützen und ihnen die Möglichkeit geben, in ihrer eigenen Wohnung sicher zu sein. Das Gesetz regelt weiter, dass der Täter sich während des Platzverweises eine andere Unterkunft suchen muss.
Wann verjährt häusliche Gewalt?
Einfache Körperverletzung verjährt nach drei Jahren. Allerdings ist zu beachten, dass das Opfer innerhalb von drei Monaten nach der Tat einen Strafantrag stellen sollte. Denn wenn die Staatsanwaltschaft nicht von einem besonderen öffentlichen Interesse an der Tat ausgeht – was bei häuslicher Gewalt, die sich gerade nicht im öffentlichen Raum abspielt, auch nicht ohne Weiteres passiert – und von Amts wegen einschreitet, kann die Tat ohne rechtzeitig gestellten Strafantrag auch nicht mehr verfolgt werden.
Gelten die Verletzungen als Beweise?
Körperliche Gewalt hinterlässt oft sichtbare Verletzungen. „Das Opfer ist nicht nur Zeugin, der Körper des Opfers ist auch Beweismittel“, sagt Rechtanwältin Landgraf.
Viele der betroffenen Frauen verstecken ihre Verletzungen unter der Kleidung. Immer wieder erklären die Opfer ihre Verletzungen auch mit erfundenen Unfällen oder Missgeschicken.
Wenn das Opfer sich ärztlich behandeln lässt, sind die Verletzungen natürlich für den Arzt sichtbar. Wie die Mediziner damit umgehen, hängt auch davon ab, wo man sich befindet, sagt Rechtsanwältin Landgraf. In Berlin beispielsweise könne man Verletzungen anonym dokumentieren lassen – und die Unterlagen womöglich bei einem späteren Verfahren als Beweis einsetzen. Sind (minderjährige) Kinder betroffen und weisen Verletzungen auf, die einen Verdacht auf häusliche Gewalt durch einen oder beide Elternteile begründen, schalten die Ärzte meist die Ermittlungsbehörden ein.
Häusliche Gewalt: Was passiert, wenn Kinder betroffen sind?
Auch wenn häuslich Gewalt per se Gewalt zwischen erwachsenen Partnern meint, lässt sie sich von Gewalt gegen Kinder nicht immer trennen. „Sobald Kinder betroffen sind, ist auch das Jugendamt zuständig“, erklärt Rechtsanwältin Landgraf. Bei Gewalt in der Familie könne es die Kinder aus der Familie „in Obhut“ nehmen. Häufig müssten sich die Frauen dann entscheiden: Trennen sie sich nicht von ihrem Mann, verlieren sie gegebenenfalls die Kinder und diese werden in einer Pflegefamilie untergebracht.
Bei Gewalt gegen Kinder sind die strafrechtlichen Konsequenzen gravierender. Das gilt vor allem bei sexueller Gewalt. Die Haftstrafen sind in gravierenden Fällen erhöht und beginnen beispielsweise bei zwei Jahren. Beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch oder Misshandlung Schutzbefohlener wird der vermeintliche Täter meist sofort verhaftet und kommt in Untersuchungshaft.
Was macht der Anwalt?
Täter können sich an Anwälte für Strafrecht wenden, die Opfer an einen Anwalt für Familienrecht oder Opferrecht. Anwältinnen und Anwälte für Strafrecht übernehmen in der Regel auch opferrechtliche Mandate. Ansprechpartner in ganz Deutschland finden Sie über unsere Anwaltssuche oben auf der Seite.
Lässt sich der Täter anwaltlich vertreten, muss der Anwalt erst einmal einen Gesamtüberblick über die Situation gewinnen und beantragt Akteneinsicht. Auch wird der Anwalt die Persönlichkeit des Mandanten unter die Lupe nehmen. Ist diesem beispielsweise bewusst, dass er ein Suchtproblem hat, kann ein stationärer Entzug eine Lösung sein – wenn hinter der Gewalt Alkohol der Drogen stecken. Manchmal kann auch eine Familienmediation oder die Aufnahme einer Therapie helfen, Konflikte aufzulösen. Der Anwalt kann diese vermitteln.
Die Betroffenen kann eine Anwältin oder ein Anwalt beraten und bei den rechtlichen Schritten gegen die Täter unterstützen. Kommt es zu einem Prozess, kann das Opfer als Nebenkläger auftreten sich dabei von einem Rechtsanwalt vertreten lassen. Betroffene können mit Unterstützung eines Anwalts unter Umständen zudem Schmerzensgeld und Schadensersatz geltend machen.
Häusliche Gewalt: Bundeslagebild 2022
Aus dem im Juli 2023 veröffentlichten Bericht über Häusliche Gewalt geht hervor, dass die Anzahl an Opfern im Vergleich zu 2021 um 8,5% angestiegen ist. Die Anzahl der Fälle liegt bei 240.574. Besonders auffällig sei die Verlagerung analoger häuslicher Gewalt in den virtuellen Raum, z.B. beim Stalking. Hier ist ein Anstieg um 57% zu beobachten, von 912 Fällen 2018 zu 1432 in 2022. Dabei muss erwähnt werden, dass die Dunkelziffer wahrscheinlich deutlich höher liegt. Das ganze Bundeslagebild 2022 gibt es hier nachzulesen.
- Datum
- Aktualisiert am
- 20.11.2023
- Autor
- vhe