Der hammerschwingende Richter
Film: Lässt man Kinder einen Richter zeichnen, sieht das meist so aus: Ein Männchen in schwarzer Robe mit einem kleinen Hammer in der Hand. Egal ob in Gerichtsserien wie „Boston Legal“ oder bei den „Simpsons“: Das Bild des grimmigen Richters, der mit einem kräftigen Hammerschlag zur Ordnung ruft, ist im – amerikanischen – Film und Fernsehen so populär, dass der Richterhammer auch hierzulande neben Waage und Justitia eines der beliebtesten Symbole für das Rechtssystem ist.
Realität: Egal, wo man zwischen St. Peter-Ording und Passau in einen Gerichtssaal schaut: Nirgends wird sich ein hämmernder Richter finden. Während dieses Utensil der Rechtspflege in den USA tatsächlich zum Einsatz kommt, ist es in Deutschland schlicht nicht vorgesehen. Dadurch wirken die Richtertische hierzulande auch eher öde: Außer ein paar Akten und Gesetzbüchern stehen Richterinnen und Richtern keine eindrucksvollen Insignien ihrer Kompetenz zur Verfügung. Übrigens auch nicht die weißen Kunsthaare, die in Richter-Karikaturen häufig auftauchen. Diese sogenannten Allongeperücken tragen nur noch Richter in Großbritannien und Australien.
Der unterbeschäftigte Staatsanwalt
Film: Die Vorstellung der meisten Deutschen von polizeilicher Ermittlungsarbeit speist sich aus einer Quelle: dem „Tatort“. Während der Realitätsgrad der Darstellung von Mordermittlungen zumindest schwankt, hat die Figur des Staatsanwalts oder der Staatsanwältin oft skurrile Züge. Wo die Ermittler sich abmühen, sitzen die Staatsanwälte in riesigen Büroräumen und lassen sich von der Sekretärin Kaffee servieren. Oder sie tauchen, wie die rustikale Staatsanwältin Wilhelmine Klemm aus dem Münsteraner „Tatort“, unverhofft am Ort des Verbrechens und anderen Schauplätzen auf, um die Polizeibeamten zu unterstützen – oder zu nerven. Wirklich arbeiten sieht der Zuschauer die Staatsanwälte nie.
Realität: „Die Darstellung staatsanwaltlicher Arbeit in deutschen Spielfilmen ist teilweise absurd“, meint der Berliner Staatsanwalt Dr. Udo Weiß. „Ich habe gar nicht die Zeit, ständig umher zu fahren, um mir ein Bild der polizeilichen Ermittlungsarbeit zu machen. Außerdem stehen uns für solche Zwecke gar keine Fahrzeuge zur Verfügung.“ Ein echter Staatsanwalt lernt seine Verfahren in der Regel auf weniger aufregende Art kennen: als Akte auf seinem Schreibtisch. Der Kontakt mit der Polizei findet nicht selten ausschließlich auf dem Papier statt. „Und Sekretärinnen, die den Kaffee servieren, gibt es auch nicht“, so Dr. Udo Weiß.
Der skrupellose Verteidiger
Film: Satan höchstpersönlich lässt sich als Staranwalt in New York nieder. Hier findet er reichlich Gelegenheit, richtig schön böse zu sein: eine Geldwäsche hier, ein Geschäft mit Chemiewaffen dort. Seine großen Auftritte hat er aber im Gerichtssaal. Mit windigen Tricks bewahrt er fiese Verbrecher vor ihrer gerechten Strafe. Der Film „Im Auftrag des Teufels“ mit Al Pacino und Keanu Reeves treibt das Bild des skrupellosen Verteidigers auf die Spitze – er bedient es aber bei weitem nicht als einziger. Eiskalte Advokaten in teuren Anzügen, die für ihre Karriere den Mörder der eigenen Großmutter verteidigen würden, sind ein Lieblingsmotiv vieler Drehbuchautoren.
Realität: Abseits der Leinwand hat der Job des Strafverteidigers wenig mit dem Habitus kühler Geschäftsleute zu tun – eher mit ganz anderen Berufen: „Ich bin in meinem Job oft auch Psychologin und Sozialarbeiterin“, sagt Dr. Ines Kilian, die in Dresden als Fachanwältin für Strafrecht tätig ist. Anders als im Film helfen fiese Tricks in einem echten Verfahren selten weiter – ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Angeklagtem und Verteidiger und eine durchdachte Verteidigungsstrategie sind für den Erfolg viel wichtiger. „Genau das ist das Spannende an dem Beruf: Immer wieder neue Menschen kennen lernen, ihre Beweggründe nachvollziehen und das Ungehörte zu Gehör zu bringen“, sagt das Vorstandsmitglied des Deutschen Anwaltvereins.
Die zwölf Geschworenen
Film: Es ist eine der bewegendsten Szenen des zeitgenössischen Gerichtsfilms: Der junge Anwalt Jake Brigance steht in „Die Jury“ vor den zwölf Geschworenen und macht ihnen ihre rassistischen Vorurteile bewusst, indem er sie auffordert, sich das schwarze Mordopfer als Weiße vorzustellen. In den USA ist es bei Strafprozessen gesetzlich vorgeschrieben, dass eine Jury aus gewöhnlichen Bürgern über Schuld und Unschuld entscheidet. Die Arbeit der Laienrichter liefert Hollywood immer wieder Filmstoffe – den vielleicht spannendsten im Klassiker „Die Zwölf Geschworenen“ von 1957. Wohl deshalb ist auch in Deutschland die Vorstellung verbreitet, im Gerichtssaal müssten „Geschworene“ überzeugt werden.
Realität: Der simple Unterschied zum Film: Geschworene gibt es in Deutschland schon sehr lange nicht mehr. Zwar werden auch in deutschen Gerichten Laien in den Prozess einbezogen, sie heißen hier allerdings Schöffen oder ehrenamtliche Richter. Anstelle von zwölf Amateur-Richtern kommen in Deutschland in der Regel höchstens zwei Schöffen zum Einsatz. Sie sind dem Berufsrichter bei der Urteilsfindung und bei der Festsetzung des Strafmaßes gleichberechtigt – und können ihn theoretisch auch überstimmen.
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.06.2014
- Autor
- pst