
Deutsche Anwaltauskunft: Herr Dr. Lammer, Thomas Middelhoff soll zu Beginn seiner Untersuchungshaft über 672 Stunden nicht schlafen haben können, wie seine Anwälte berichten. Man habe alle 15 Minuten das Licht in seiner Zelle angestellt. Wann sind in deutschen Justizvollzugsanstalten (JVA) solche Maßnahmen denkbar?
Lammer: Derlei Maßnahmen sind durchaus denkbar und auch nicht ungewöhnlich, insbesondere zu Beginn einer Inhaftierung, wenn eine Suizidgefahr angenommen wird wie zum Beispiel bei einem haftempfindlichen Menschen, der bislang wenig Kontakt mit der Strafjustiz hatte und für den die Inhaftierung in besonderer Weise einen Schock darstellt. Da wird dann oft schon bei der Verkündung des Haftbefehls nachgefragt, inwieweit eine psychologische Betreuung von Nöten ist und eine Suizidgefahr besteht.
Anwaltauskunft: Würde diese Suizidgefahr im Weiteren hinterfragt?
Lammer: Ob jemand suizidgefährdet ist oder nicht, unterliegt der Einschätzung der JVA. Vor Antritt einer Haft gibt es eine Aufnahmeuntersuchung. In der wird häufig hinterfragt, inwiefern jemand haft- und verwahrfähig ist. Da wird erörtert, ob eine Medikation fortgesetzt werden muss oder ob der zu Inhaftierende zum Beispiel Allergien gegen Lebensmittel hat. Aber auch die psychologische Einschätzung gehört dazu.
Anwaltauskunft: In der Causa Middelhoff gibt es Stimmen, seine Haftbedingungen seien unverhältnismäßig. Was wäre denn verhältnismäßig?
Lammer: Alle 15 Minuten das Licht anzuschalten, halte ich für extrem belastend. Das kann sich jeder selbst vorstellen, dass man in einer solchen Situation nicht in den Schlaf finden kann. Insbesondere angesichts der berichteten und in der Presse nach meiner Kenntnis bisher unwidersprochenen Dauer dieser besonderen Sicherungsmaßnahme, nämlich über 672 Stunden hinweg und damit 4 Wochen lang, halte ich das für absolut unverhältnismäßig. Es gäbe als Alternative dazu auch die Möglichkeit, einen suizidgefährdeten Inhaftierten mit einem anderen Gefangenen unterzubringen. Der „gesunde“ Zweite könnte dann aufpassen, dass nichts passiert. Nach einer höchstens wenige Tage dauernden Zeit der Überwachung wäre eine solche Maßnahme durchaus denkbar. Dafür bedürfte es in der Regel noch nicht einmal der Zustimmung des gefährdeten Inhaftierten.
Anwaltauskunft: Warum werden keine Infrarot-Kameras eingesetzt, die einen Inhaftierten auch im Dunkeln überwachen könnten, ohne dass das Licht eingeschaltet wird?
Lammer: Das kann man sich in der Tat fragen. Es gibt ausreichende, technische Mittel, die allemal verhältnismäßiger wären als das Licht alle 15 Minuten an- und auszuschalten. Allerdings ist die lückenlose Videoüberwachung natürlich auch nicht unproblematisch. Dabei würde der Inhaftierte in allen Lebensumständen gefilmt, also auch, wenn er etwa zur Toilette ginge. Es wäre aber denkbar, anstatt in gewissen Abständen das Licht in der Zelle anzustellen, die Kamera einzuschalten und nach der Kontrolle wieder auszustellen. Das wäre allemal besser, als den Inhaftierten so häufig zu wecken.
Anwaltauskunft: Wo beginnt Folter?
Lammer: Ob Folter vorliegt, hängt von der Zielrichtung der Misshandlung ab. Wenn eine Übermüdung eingesetzt wird, um die Geständnisbereitschaft eines Inhaftierten zu erhöhen, muss man von Folter sprechen. Nach § 136a der Strafprozessordnung wären Ermüdungsmaßnahmen eine unzulässige Vernehmungsmethode. Genau wie bei Misshandlung dürften JVA-Beamte nicht versuchen, mit Schlafentzug die Willensentschließung eines Inhaftierten zu brechen. In Middelhoffs Fall war ein Geständnis aber offensichtlich nicht das Ziel. Er war zu diesem Zeitpunkt ja schon verurteilt, wenn auch noch nicht rechtskräftig. Natürlich hat der Leiter einer JVA Angst vor den mit einem Suizid eines Gefangenen verbunden Vorwürfen, insbesondere, wenn es sich um einen prominenten Gefangenen handelt. Hiergegen wollte man sich wohl unbedingt absichern, hat dabei aber die Verhältnismäßigkeit der Mittel aus dem Blick verloren.
- Datum
- Aktualisiert am
- 07.04.2015
- Autor
- kgl