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Haftbe­din­gungen

Der Fall Middelhoff: Schlaf­entzug in Haft legitim?

Thomas Middelhoff soll nach Auskunft seiner Anwälte innerhalb der ersten 672 Stunden seiner Untersuchungshaft wach gehalten worden sein. © Quelle: Martin/gettyimages.de

In der Untersu­chungshaft gilt es, Beschuldigte eines Strafver­fahrens sicher zu verwahren. Inwieweit deshalb ständige Zellkon­trollen legitim sind, wie sie jüngst von den Anwälten des Ex-Arcandor-Chefs Thomas Middelhoff beanstandet wurden – ein Interview mit dem Strafrechtler Dr. Dirk Lammer.

Deutsche Anwalt­auskunft: Herr Dr. Lammer, Thomas Middelhoff soll zu Beginn seiner Untersu­chungshaft über 672 Stunden nicht schlafen haben können, wie seine Anwälte berichten. Man habe alle 15 Minuten das Licht in seiner Zelle angestellt. Wann sind in deutschen Justiz­voll­zugs­an­stalten (JVA) solche Maßnahmen denkbar?

Lammer: Derlei Maßnahmen sind durchaus denkbar und auch nicht ungewöhnlich, insbesondere zu Beginn einer Inhaftierung, wenn eine Suizid­gefahr angenommen wird wie zum Beispiel bei einem haftemp­find­lichen Menschen, der bislang wenig Kontakt mit der Strafjustiz hatte und für den die Inhaftierung in besonderer Weise einen Schock darstellt. Da wird dann oft schon bei der Verkündung des Haftbefehls nachgefragt, inwieweit eine psycho­lo­gische Betreuung von Nöten ist und eine Suizid­gefahr besteht.

Anwalt­auskunft: Würde diese Suizid­gefahr im Weiteren hinterfragt?

Lammer: Ob jemand suizid­ge­fährdet ist oder nicht, unterliegt der Einschätzung der JVA. Vor Antritt einer Haft gibt es eine Aufnah­me­un­ter­suchung. In der wird häufig hinterfragt, inwiefern jemand haft- und verwahrfähig ist. Da wird erörtert, ob eine Medikation fortgesetzt werden muss oder ob der zu Inhaftierende zum Beispiel Allergien gegen Lebens­mittel hat. Aber auch die psycho­lo­gische Einschätzung gehört dazu.

Anwalt­auskunft: In der Causa Middelhoff gibt es Stimmen, seine Haftbe­din­gungen seien unverhält­nismäßig. Was wäre denn verhält­nismäßig?

Lammer: Alle 15 Minuten das Licht anzuschalten, halte ich für extrem belastend. Das kann sich jeder selbst vorstellen, dass man in einer solchen Situation nicht in den Schlaf finden kann. Insbesondere angesichts der berichteten und in der Presse nach meiner Kenntnis bisher unwider­spro­chenen Dauer dieser besonderen Sicherungs­maßnahme, nämlich über 672 Stunden hinweg und damit 4 Wochen lang, halte ich das für absolut unverhält­nismäßig. Es gäbe als Alternative dazu auch die Möglichkeit, einen suizid­ge­fährdeten Inhaftierten mit einem anderen Gefangenen unterzu­bringen. Der „gesunde“ Zweite könnte dann aufpassen, dass nichts passiert. Nach einer höchstens wenige Tage dauernden Zeit der Überwachung wäre eine solche Maßnahme durchaus denkbar. Dafür bedürfte es in der Regel noch nicht einmal der Zustimmung des gefährdeten Inhaftierten.

Anwalt­auskunft: Warum werden keine Infrarot-Kameras eingesetzt, die einen Inhaftierten auch im Dunkeln überwachen könnten, ohne dass das Licht eingeschaltet wird?

Lammer: Das kann man sich in der Tat fragen. Es gibt ausrei­chende, technische Mittel, die allemal verhält­nis­mäßiger wären als das Licht alle 15 Minuten an- und auszuschalten. Allerdings ist die lückenlose Videoüber­wachung natürlich auch nicht unproble­matisch. Dabei würde der Inhaftierte in allen Lebens­um­ständen gefilmt, also auch, wenn er etwa zur Toilette ginge. Es wäre aber denkbar, anstatt in gewissen Abständen das Licht in der Zelle anzustellen, die Kamera einzuschalten und nach der Kontrolle wieder auszustellen. Das wäre allemal besser, als den Inhaftierten so häufig zu wecken.

Anwalt­auskunft: Wo beginnt Folter?

Lammer: Ob Folter vorliegt, hängt von der Zielrichtung der Misshandlung ab. Wenn eine Übermüdung eingesetzt wird, um die Geständ­nis­be­reit­schaft eines Inhaftierten zu erhöhen, muss man von Folter sprechen. Nach § 136a der Strafpro­zess­ordnung wären Ermüdungs­maß­nahmen eine unzulässige Verneh­mungs­methode. Genau wie bei Misshandlung dürften JVA-Beamte nicht versuchen, mit Schlaf­entzug die Willens­ent­schließung eines Inhaftierten zu brechen. In Middelhoffs Fall war ein Geständnis aber offensichtlich nicht das Ziel. Er war zu diesem Zeitpunkt ja schon verurteilt, wenn auch noch nicht rechts­kräftig. Natürlich hat der Leiter einer JVA Angst vor den mit einem Suizid eines Gefangenen verbunden Vorwürfen, insbesondere, wenn es sich um einen prominenten Gefangenen handelt. Hiergegen wollte man sich wohl unbedingt absichern, hat dabei aber die Verhält­nis­mä­ßigkeit der Mittel aus dem Blick verloren. 

Datum
Aktualisiert am
07.04.2015
Autor
kgl
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Themen
Haft Konkurs

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