Die Bürger von Hamburg-Mitte haben am Sonntag entschieden: Sie wollen keine Seilbahn über die Elbe. In einem Bürgerentscheid haben sich die Gegner des Projektes durchgesetzt. Im Abstimmen haben die Hamburger eine gewisse Routine, auch auf Landesebene. Laut Angaben des Vereins „Mehr Demokratie“ kam es seit 1946 in dem Stadtstaat zu sieben Volksentscheiden – den meisten im deutschlandweiten Vergleich. In Ländern wie Rheinland-Pfalz und Hessen kam dieses Instrument noch nie zur Anwendung.
Keine Volksabstimmungen auf Bundesebene
Die Ursache dafür liegt auch darin, dass für direkte Demokratie in Deutschland die Bundesländer zuständig sind. Volksabstimmungen auf Bundesebene, wie man sie zum Beispiel aus der Schweiz kennt, sind in Deutschland nicht möglich. Das Grundgesetz sieht länderübergreifende Volksabstimmungen ausschließlich für Fragen zur Neugliederung des Bundesgebietes vor – also zum Beispiel bei der Fusion von Bundesländern.
Auf Landesebene sind direkte Entscheidungen der Bürger zwar vorgesehen, die Verfahren unterscheiden sich aber erheblich. „Die Regelungen zu Volksentscheiden sind ein typisches Beispiel für den deutschen Föderalismus“, sagt Rechtsanwalt Robert Hotstegs vom Deutschen Anwaltverein (DAV), der selbst zahlreiche Bürgerinitiativen berät. „Insgesamt gibt es 17 unterschiedliche Systeme – alleine das Land Bremen leistet sich zwei verschiedene“, so Hotstegs.
Neben Verfahren, bei denen lediglich die Meinung des Volkes eingeholt wird, sind in allen Bundesländern auch Volksentscheide vorgesehen, die politische Entscheidungskraft haben – allerdings nur zu bestimmten Themen. Fragen über den Finanzhaushalt der Länder sind beispielsweise in der Regel ausgeschlossen.
Der Volksentscheid ist in jedem Bundesland anders
Bevor die Bürger an die Wahlurne gerufen werden, müssen Initiativen in der Regel einen weiten Weg zurücklegen. Vor einem Entscheid steht ein mehrstufiges Verfahren, in dem Unterschriften gesammelt werden müssen und zum Teil auch das Landesparlament befragt wird. Die Hürde, um eine Entscheidung des Volkes zu erzwingen, ist dabei unterschiedlich hoch. Wo in Brandenburg 3,9 Prozent der Unterschriften der wahlberechtigten Bevölkerung ausreichen, sind in Hessen 20 Prozent erforderlich. Während Bürgerinitiativen in Sachsen-Anhalt sechs Monate Zeit zur freien Sammlung der Unterschriften haben, müssen sich die Bürger in Bayern innerhalb von 14 Tagen in einer Amtsstube in die Listen eintragen.
Auch auf kommunaler Ebene, also in den einzelnen Städten und Gemeinden, sind direkte Entscheidungen der Bürger zu Sachfragen in allen Ländern vorgesehen – meist unter dem Namen Bürgerentscheid. Dazu zählt auch die Hamburger Seilbahn-Entscheidung, die ausschließlich im Bezirk Hamburg-Mitte und nicht im ganzen Bundesland abgehalten wurde. Die Regeln für Bürgerentscheide ähneln denen von Volksentscheiden auf Landesebene, allerdings sind die Hürden in der Regel niedriger. So reichen beispielsweise in München die Unterschriften von drei Prozent der Bevölkerung, um einen Bürgerentscheid anzuberaumen.
Entscheidungen der Bürger sind nicht ewig gültig
Die Instrumente direkter Mitbestimmung der Bürger sind also vorhanden. Aber welche Konsequenzen hat es überhaupt, wenn das Volk eine politische Entscheidung erzwingt oder ablehnt? Muss beispielweise das Tempelhofer Feld in Berlin auf ewige Zeiten eine grüne Wiese bleiben, weil die Bürger entschieden haben, dass es nicht bebaut werden soll?
„Die Ergebnisse von Volksentscheiden sind in der Regel Entscheidungen des Landesparlaments gleichgestellt“, sagt Rechtsanwalt Hotstegs vom Deutschen Anwaltverein.
Das bedeutet, dass sie einen gesetzlich genau so bindenden Charakter haben. Und wie Gesetze später verändert werden können, sind auch Volksentscheide nicht immer unbeschränkt gültig. „Eine unbegrenzte Gültigkeit wäre auch mit der Verfassung nicht vereinbar, Volk und Parlament müssen schließlich auf neue Entwicklungen reagieren können“, sagt Rechtsanwalt Robert Hotstegs. Und so sehen die Bundesländer Regelungen vor, nach denen die Parlamente Volksentscheide auch aufheben können. In manchen Ländern sogar ohne das Volk erneut daran zu beteiligen. In der Vergangenheit kam es schon häufiger dazu, dass Landesparlamente Entscheidungen der Bürger wieder kassierten. So stimmte beispielweise die Mehrheit der Schleswig-Holsteiner 1998 gegen die Einführung der neuen Rechtschreibung. Weniger als ein Jahr später beschloss der Landtag das Gegenteil.
Fristen bei Bürgerentscheiden
Auch Bürgerentscheide in Städten und Gemeinden haben in der Regel die gleiche Wirkung wie Entscheidungen des Rates. Allerdings gibt es in vielen Bundesländern Fristen, innerhalb derer der Rat das Ergebnis des Entscheides nicht abändern darf. In Rheinland-Pfalz beträgt diese Frist beispielsweise drei Jahre, in Bayern nur ein Jahr. Innerhalb dieser Frist müsste der Rat einen neuen Bürgerentscheid anberaumen. Als die Münchner Bürger im Jahr 2012 entschieden, dass am Flughafen keine dritte Startbahn gebaut werden soll, hätte der Stadtrat also nur ein Jahr später beschließen können, sie trotzdem zu bauen.
In den meisten Fällen respektiert die Politik jedoch die Entscheidung des Volkes und trifft keine gegenteiligen Entscheidungen, so auch in München. Häufig findet aber eine Einflussnahme auf anderem Weg statt. So wurde beispielsweise der Berliner Volksentscheid über den Rückkauf des Stromnetzes im Jahr 2013 vom Senat so terminiert, dass er nicht gemeinsam mit der Bundestagswahl sondern wenige Wochen später stattfand. Die Wahlbeteiligung war entsprechend geringer. Am Ende fehlten für einen erfolgreichen Entscheid 21.000 Stimmen.
- Datum
- Aktualisiert am
- 29.08.2014
- Autor
- pst