
Ich mag ja diesen Begriff nicht, verwende ihn aber weiter, da in der Diskussion so plakativ von „Hartz IV Anwälten“ gesprochen wird: Spezialisierte Rechtsanwälte verdienten mit diesen Mandaten Geld! „Tausende Juristen verdienen auf diese Weise ihr Geld, einige Massenkläger generieren sogar mehrere 100.000 Euro pro Jahr.“ Es sei eine „Anwaltsindustrie“ entstandenen. Dass es gerade die „Hartz-IV-Anwälte“ sein mussten und nicht andere Anwaltsgruppen gescholten wurden, war sicher dem Umstand geschuldet, dass in der Presse „Hartz immer läuft“.
Zunächst schien es so, dass die Leser eines Beitrags auf Spiegel Online das Erforderliche kommentieren würden, es findet sich eher Kritisches zu dem Beitrag. In der Zwischenzeit hat sich aber über den Spiegel-Beitrag und die Kommentare hinaus eine rege Diskussion entwickelt. Es finden sich der eine oder andere Blog-Beitrag, besonders prägnant etwa Rechtsanwalt Wolf, „Ärzte nutzen Infektionen gezielt aus: Geld verdienen mit Krankheiten?“, oder aktuell Prof. Dr. Sell, „Böse Anwälte, gute Anwälte? Wie Rechtsanwälte mit dem (angeblichen) Geschäftsmodell "Hartz IV-Klagen" in die Medien-Mangel genommen werden und warum da was fehlt“, auch Printmedien haben sich der Sache angenommen.
„Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie es abläuft"
Die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag zu der Erfolgsquote von Widersprüchen gegen Sanktionsbescheide nimmt Joachim Jahn im Wirtschaftsteil der FAZ vom 19. Juni 2014 zum Anlass, die Thesen aufzugreifen. Hatte ich es in einer Glosse im aktuellen Heft der ASR – Anwalt/Anwältin im Sozialrecht – noch für ausreichend angesehen, den Wolfschen Blog-Beitrag zu zitieren, zeigt die Diskussion jetzt, dass es damit nicht sein Bewenden haben kann. Das eine oder andere muss doch gesagt werden.
Über diese Diskussion muss man sich aufregen. Als Sozialrechtler weiß man es aus eigener Erfahrung besser, kennt Kolleginnen und Kollegen, die engagiert ihren Mandanten in Grundsicherungssachen zur Seite stehen und nicht sechsstellig gegenüber den Jobcentern abrechnen. Wir gehen mit den Rechtsgrundlagen um, erfahren, wie Jobcenter arbeiten und wissen daher, was an der Diskussion falsch ist. Es ist vor allem die Einseitigkeit in der Berichterstattung, das Herausnehmen nur dieser einen angesprochenen „Anwaltsgruppe“, vielleicht gerade dieser, die die Replik erforderlich macht.
„Vom Einzelfall auf die große Mehrheit schließen? Das ist nicht zulässig"
Um es vorweg klarzustellen, aus eigener Anschauung weiß ich nicht, ob der Vorwurf, die Bundesagentur für Arbeit habe im Jahre 2012 mehreren im Grundsicherungsangelegenheiten tätigen Kanzleien in Berlin Kosten in Höhe von jeweils über 100.000,00 € erstattet, richtig ist. Ich habe keinen Anlass, dies in Zweifel zu ziehen.
Es sind aber auch nur Einzelfälle, ohne dass aus diesen Einzelfällen Rückschlüsse auf die große Mehrheit der in diesem Rechtsgebiet tätigen Kolleginnen und Kollegen zulässig sind. Aus eigener Anschauung kann ich auch nicht bestätigen, dass es „Hartz-IV-Anwälte“, die ihr Geschäft industriell betreiben sollten, in jedem Bundesland gibt. Auch dies möchte ich nicht in Zweifel ziehen, es zeigt doch nur, dass es in ganz Deutschland einen großen Bedarf gibt, anwaltlichen Rat auch in solchen sozialrechtlichen Fragen zu erhalten.
„Es geht hierbei um die Sicherstellung des Lebensunterhalts der Mandanten"
Eines darf man nicht aus den Augen verlieren: In Hartz-IV-Sachen streiten wir um die Sicherstellung des Lebensunterhalts. Das hier Verfassungsrecht betroffen ist, ist nicht erst seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Höhe der Regelsätze bekannt. Auch vermeintlich niedrige Beträge, die nicht zur Auszahlung kommen oder zurückgefordert werden, gehen angesichts eines Regelsatzes von zurzeit 391 Euro an die Substanz. 40 Euro haben oder nicht haben, sind 10% der Leistung. Wer würde nicht um eine Gehaltskürzung von 10% vor das Arbeitsgericht ziehen.
Wir sind in einem Rechtsgebiet unterwegs, das erst wenige Jahre jung ist und zahlreichen Gesetzesänderungen erfahren hat. Hier tut sich viel, ändert sich noch mehr. Widersprüche und Klagen haben in einem großen Umfang Erfolg, die Ausgangsbescheide sind falsch. Eine Erfolgsquote von rund 40% spricht eine deutliche Sprache, 4 von 10 Bescheiden sind falsch! Dies mag an schlechten gesetzlichen Regelungen liegen oder an belasteten Behörden. Aber auch falsche Bescheide von überarbeiteten Jobcentern sind falsche Bescheide. Zu rügen sind nicht die Anwältinnen und Anwälte, die in diesem Bereich tätig werden, zu rügen ist auch der Gesetzgeber, der ausreichende Mittel nicht zur Verfügung stellt, um die Jobcenter personell besser auszustatten. Auch die Personalpolitik der Jobcenter ist im Auge zu behalten. Viel zu häufig werden befristete Arbeitsverträge abgeschlossen und Mitarbeiter nicht weiter beschäftigt, die über eine größere Erfahrung verfügen.
„Vier von zehn Bescheiden sind falsch"
Und es sind eben nur diese falschen Bescheide, die dazu führen, dass die Jobcenter Anwaltskosten zu erstatten haben. Dieser Umstand geht in der Diskussion um die vermeintlich so geschäftstüchtigen „Hartz-IV-Anwälte“ verloren. Hat der Leistungsberechtigte einen Anwalt schon im Antrags- oder auf einen Überprüfungsantrag beauftragt, kommt selbst dann, wenn dem Antrag entsprochen wird oder im Überprüfungsverfahren festgestellt wird, dass Bescheide in der Vergangenheit falsch gewesen sind, eine Kostenerstattung nicht in Betracht. Ebenso wenig, wenn sich herausstellt, dass der Bescheid richtig gewesen ist, die Behörde keinen Fehler gemacht hat.
Es werden keine Mandate künstlich auf verschiedene Monate oder andere Personen einer Bedarfsgemeinschaft erstreckt. SGB II-Leistungen werden (noch) nur für ein halbes Jahr bewilligt, danach muss ein neuer Antrag gestellt und beschieden werden. Nach der Rechtsprechung muss der Bevollmächtigte für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Widerspruch einlegen oder Klage erheben. Tut er dies nicht, unterläuft ihm ein Fehler, für den er haftet.
Es ist Tagesgeschäft, das in Grundsicherungsmandaten „pro bono“ gearbeitet wird. Und selbst dann, wenn Beratungshilfe gewährt wird, ernährt die Geschäftsgebühr den Anwalt kaum. Selbst wenn „nur“ Widerspruch eingelegt wird, sind die von der Staatskasse zu zahlenden 85 Euro nicht wirklich kostendeckend. Bei 85 Euro bleibt es auch, wenn der Anwalt, etwa um einen Überprüfungsantrag oder einen Widerspruch zu begründen, nicht nur Rechtsausführungen machen muss, sondern auch zu den tatsächlichen Gegebenheiten vorträgt und Berechnungen überprüft, eigene Ermittlungen anstrengt. Der Ratsuchende trägt so oder so, was angesichts der Regelsätze schon nicht unerheblich ist, eine eigene Gebühr in Höhe von 15 Euro.
- Datum
- Autor
- Martin Schafhausen