
Eine schreckliche Serie von Ereignissen hat im Juli 2016 Deutschland schockiert und in Atem gehalten. Innerhalb von wenigen Tagen haben unabhängig voneinander Gewalttaten in München, Ansbach, Reutlingen und bei Würzburg stattgefunden. Am 19. Dezember hat sich zudem der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt ereignet. Etliche Menschen sind auf tragische Weise ums Leben gekommen, weitere wurden verletzt oder traumatisiert. Die Taten hinterlassen eine große Trauer und Personen, die medizinisch und psychologisch intensiv betreut werden müssen.
Die medizinische und psychologische Erstversorgung der Opfer ist allerdings nur ein Teil der Folgekosten, die derartige Taten verursachen können. Oft sind Menschen, nach gewalttätigen Angriffen auf lange Zeit geschädigt. In vielen Fällen ist langfristige medizinische oder psychiatrische Betreuung notwendig. Manche Opfer sind nicht mehr arbeitsfähig oder müssen beruflich pausieren.
Um zu verhindern, dass Opfer von Gewalttaten nicht nur an den direkten, sondern auch an den indirekten und wirtschaftlichen Folgen leiden müssen, existiert in Deutschland das Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Einigung: Terroropfer werden doch entschädigt
Nachdem zunächst eine Entschädigung für die Opfer vom Breitscheidplatz in Frage stand, haben sich Sozial- und Justizministerium auf eine Lösung geeinigt. Es soll für die Opfer Geld über das Opferentschädigungsgesetz (OEG) bereitgestellt werden.
Zunächst war unklar, ob das OEG im Fall des Berliner Terroranschlags überhaupt greife. Entschädigung für Taten, die mit einem Kraftfahrzeug verübt wurden, werden in dem Gesetz eigentlich explizit ausgeschlossen. Mit einem entführten LKW hatte ein Attentäter am 19. Dezember 2016 zwölf Menschen getötet und mehr als 50 verletzt.
Eine Sprecherin des Sozialministeriums verwies allerdings auf einen besonderen Härteausgleich nach dem Bundesversorgungsgesetz, auf welches im OEG verwiesen wird. Zudem habe der Täter bei dem Anschlag nicht nur den LKW, sondern auch eine Schusswaffe benutzt. Dadurch könne der Terroranschlag als Gesamttat gesehen werden.
Opfer und ihre Angehörige erhalten außerdem einmalig Geld aus einem Härtefallfonds des Bundesamtes für Justiz.
Entschädigung nach dem OEG: Welche Voraussetzungen gelten?
Das OEG ist eine staatliche Leistung und entschädigt Menschen, die durch einen Angriff gesundheitlich geschädigt sind.
Dazu müssen drei Tatmerkmale erfüllt sein:
- Die Tat muss mit Vorsatz erfolgt sein.
Beim Täter muss ein „Wissen und Wollen“ der Tat vorhanden gewesen sein. Wer durch unverschuldetes oder versehentliches Handeln eines Anderen geschädigt wurde, etwa bei einem Unfall, erfüllt den Anspruch nicht.
- Die Tat muss rechtswidrig gewesen sein.
Wird man bei einer Auseinandersetzung durch eine Notwehrhandlung eines Anderen geschädigt, oder durch jemanden, der zur Gewaltausübung legitimiert wurde, also beispielsweise Polizei- oder andere Sicherheitskräfte, hat man keinen Anspruch nach dem OEG. Auch der Tatbestand des „rechtfertigenden Notstands“ verhindert den Anspruch.
- Es muss sich um einen tätlichen Angriff handeln.
Unter einem tätlichen Angriff versteht das Recht eine „in feindselige Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf ihren Erfolg“ (§113 StGB). Es zählen aber auch Sexualdelikte und einige Sonderfälle dazu, beispielsweise die extreme Vernachlässigung eines Kleinkindes.
Nicht dazu zählen hingegen bloße Gewaltandrohungen. Selbst dann nicht, wenn das Opfer mit einer geladenen Schusswaffe bedroht wurde.
Anspruch auf Opferentschädigung: Geschädigte müssen Opfer sein.
In §2 OEG werden außerdem drei Punkte definiert, welche einen Anspruch verhindern:
1. Der Geschädigte hat die Schädigung aktiv mit verursacht. Wer also nachweislich aktiv an einer Schlägerei beteiligt war oder diese womöglich mit verursacht hat, kann sich wenig Hoffnung auf Opferentschädigung machen.
2. Der Geschädigte ist an politischen oder kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt und die Schädigung beruht darauf. Ein praktisches Beispiel wäre eine Auseinandersetzung im Rahmen einer politischen Demonstration.
3. Der Geschädigte ist in organisierte Kriminalität verwickelt oder gehört einer Organisation an, welche Gewalttaten begeht, etwa einer Rockerbande aus dem Milieu.
Sollte jemand, der die Punkte 2 oder 3 erfüllt, allerdings nachweisen können, dass die Tat, bei der er geschädigt wurde, nichts mit diesen Sachverhalten zu tun hat, kann es zu einer Bewilligung von Entschädigung kommen.
Außerdem sind Betroffene aufgefordert, aktiv zu einer Aufklärung der Taten beizutragen. Tun sie das nicht, kann sie das ebenfalls den Entschädigungsanspruch kosten.
§1 OEG Abs. 11 nennt einen weiteren Fall, in dem Opfer keinen Anspruch auf Entschädigung haben. Das gilt bei "Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verursacht worden sind."
Opferentschädigung: Welche Kosten werden übernommen?
Die Versorgungsleistungen, die der Anspruch auf Opferentschädigung umfasst, sind im Bundesversorgungsgesetz definiert.
Dazu gehören:
- Kosten für Heilung und Krankenbehandlung, darunter fallen auch Kosten für psychotherapeutische Behandlungen oder Fürsorgeleistungen wie Pflege.
- Kosten für Hilfsmittel wie Brillen, Prothesen, Zahnersatz oder Rollstuhl
- Kosten, die mit der beruflichen Rehabilitation in Zusammenhang stehen.
- Renten, falls der/die Geschädigte dauerhaft erwerbsunfähig geworden ist oder seine Erwerbsfähigkeit dauerhaft gemindert ist. Dies bezieht sich auch auf Angehörige, beziehungsweise Hinterbliebende.
- Bestattungs- und Sterbegeld
Ausdrücklich von der Opferentschädigung nicht erfasst sind Posten wie Schadensersatz für Eigentums- und Vermögenschschäden oder Schmerzensgeld. Die Opferentschädigung ist nicht dazu gedacht, zerstörte Vermögenswerte zu ersetzen.
Viele Leistungen werden allerdings ohnehin auch von den Krankenkassen und Rentenkassen übernommen.
Wie und wann beantrage ich eine Opferentschädigung?
Versorgungsleistungen nach dem OEG gibt es nur auf Antrag. Es empfiehlt sich, diesen so schnell wie möglich zu stellen. Dabei müssen Betroffene auch nicht den Ausgang eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens abwarten. Die Opferentschädigung läuft unabhängig vom Strafverfahren ab. Eine Verurteilung des Täters ist also keine Voraussetzung für das Gewähren einer Entschädigung.
Ein wesentlicher Grund, sich mit der Antragsstellung zu beeilen: Wird der Antrag innerhalb eines Jahres nach der Tat gestellt, wirkt er bis zum Zeitpunkt der Tat zurück. So können Sie als Geschädigte(r) auch den Zeitraum zwischen Antragsstellung und Tat geltend machen. Ist allerdings bereits mehr als ein Jahr seit der Tat vergangen, gilt die Antragstellung als Startdatum.
Gestellt wird der Antrag am besten in der Außenstelle des zuständigen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie. Er wird aber auch von anderen Sozialleistungsträgern und bei Gemeindebehörden entgegen genommen. Auch ein formloser Antrag reicht hier aus. Wer allerdings Schwierigkeiten bei der Bewilligung seines Antrags hat, sollte in jedem Fall anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen.
- Datum
- Aktualisiert am
- 23.01.2017
- Autor
- psu