
Auf Initiative von Justizministerin Katharina Barley hat das Kabinett im Sommer die Musterfeststellungsklage auf den Weg gebracht. Das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage ist seit dem 1. November 2018 in Kraft. Mit dem neuen Gesetz gibt die große Koalition bestimmten Verbänden, sogenannten „qualifizierten Einrichtungen“, die Möglichkeit, im Interesse geschädigter Verbraucher gegen einen Konzern zu klagen. Bisher war es für viele Verbraucher zu riskant und aufwändig, allein gegen große Unternehmen zu klagen. Die neue Klagemöglichkeit macht es Verbrauchern leichter, ihre Ansprüche durchzusetzen.
Warum kommt die Musterfeststellungsklage?
Anlass für die zügige Einführung dieser neuen Verbandsklageart ist die VW-Abgas-Affäre. Sie weitete sich zu einem Diesel-Skandal aus, der Millionen Fahrer in Deutschland schädigte. Dank der Musterfeststellungsklage kann die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens für eine Vielzahl von Fällen festgestellt werden, bevor der Einzelne vor Gericht ziehen muss, um seinen individuellen Schaden geltend zu machen. Es ist kein Zufall, dass das Gesetz noch 2018 in Kraft getreten ist: Die Schadensersatzansprüche der VW-, Audi-, Skoda-, Seat- und Porsche-Besitzer drohen zum Ende des Jahres 2018 zu verjähren.
Wer darf eine Musterfeststellungsklage einreichen?
In Deutschland dürfen nur bestimmte Verbände Musterfeststellungsklagen einreichen. Dazu zählen zum Beispiel Verbraucherzentralen und Mietervereine. Voraussetzung ist, dass ihnen mindestens zehn Verbände oder 350 natürliche Personen als Mitglieder angehören. Außerdem müssen die Verbände seit mindestens vier Jahren als qualifizierte Einrichtung anerkannt sein, nicht von bestimmten Unternehmen abhängig sein und keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen. Indem sie diese hohe Hürde in das Gesetz eingebaut hat, möchte die Bundesregierung verhindern, dass eine Klage-Industrie wie in den USA entsteht.
Wann ist eine Musterfeststellungsklage zulässig?
Voraussetzung für eine Musterfeststellungsklage ist, dass eine gewisse Zahl an Personen betroffen ist. Bevor ein zugelassener Verband Klage einreichen kann, muss er die Fälle von zehn Betroffenen beispielhaft aufarbeiten. Nachdem dies erfolgt ist, macht das Gericht die Klage öffentlich bekannt.
Wie läuft der Klageweg ab?
Das Bundesamt für Justiz eröffnet anschließend ein Klageregister, das über den Gegenstand, den Verlauf und das Ergebnis des Verfahrens informiert. Melden sich dort innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Betroffene (einschließlich der ersten zehn, deren Fälle aufgearbeitet wurden), wird die Klage zulässig.
Wie schließen Verbraucher sich der Klage an?
Verbraucher machen beim Klageregister schriftliche Angaben zu ihrer Person sowie zum Streitgegenstand. Sie müssen darlegen welche Rechtsbeziehungen zu dem beklagten Unternehmen bestehen und welche Ansprüche sie geltend machen.
Wie können Gerichtsverfahren enden?
Verfahren enden mit einem Urteil oder einem Vergleich. Kommt es zu einem Vergleich, so können alle im Klageregister eingetragenen Personen Schadensersatz verlangen, sofern der Vergleich Zahlungen unmittelbar an die Eingetragenen vorsieht.
Es ist auch möglich, dass kein Vergleich zustande kommt und das Gericht im Urteil die Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit des Verhaltens des Unternehmens anerkennt. In diesem Fall muss anschließend jeder einzelne Verbraucher seinen Anspruch individuell durchsetzen. Dies ist zwar einfacher, als den gesamten Fall alleine zu bestreiten, da wesentliche tatsächliche und rechtliche Vorfragen bereits bindend geklärt sind, erfordert aber in jedem Fall die fachkundige Unterstützung eines Anwalts.
Ist die Musterfeststellungsklage mit der Sammelklage aus den USA vergleichbar?
Die Unterschiede sind erheblich: Während sich bei Sammelklagen in den USA betroffene Verbraucher von jeder beliebigen Anwaltskanzlei vertreten lassen und unter bestimmten Voraussetzungen ihre Klagen in einem Verfahren bündeln dürfen, ist dies bei der Musterfeststellungsklage in Deutschland nur einem Verband erlaubt, der dafür zugelassen wurde.
Außerdem werden Betroffene bei der Sammelklage in den USA grundsätzlich einbezogen – es sei denn, sie treten aktiv aus. Bei der deutschen Musterfeststellungsklage ist es umgekehrt: Hier müssen Betroffene durch Anmeldung seiner Ansprüche im Klageregister aktiv „eintreten“, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Dabei können sie sich auf die Ergebnisse des Musterfeststellungsverfahrens beziehen.
- Datum
- Aktualisiert am
- 10.06.2021