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Wie wiegt man den Verlust der Freiheit auf?

Haftent­schä­digung: Welche Rechte haben Justizopfer in Deutschland?

Auch in Deutschland sitzen Inhaftierte hinter Gittern, die zu Unrecht verurteilt wurden. Doch welche Ansprüche haben sie nach Ihrer Entlassung? © Quelle: ewastudio/gettyimages.de

Anspruch auf Haftent­schä­digung haben Menschen, die in Untersu­chungshaft saßen und deren Verfahren mangels hinrei­chenden Tatver­dachts eingestellt wurde oder mit einem Freispruch endete. Die Höhe der Entschä­digung ist dabei Gegenstand von Diskus­sionen. Anwalt­auskunft.de fragt: Welche Rechte haben Justizopfer hierzulande?

Die Doku-Serie "Making a murderer", produziert von Netflix, rührt auf, macht nachdenklich und vereinzelnd auch wütend. Darin wird die wahre Geschichte des Steven Avery aufgear­beitet, einem Amerikaner, der zunächst 18 Jahre lang unschuldig im Gefängnis saß. Nach seiner Freilassung klagt er auf Schadens­ersatz in Höhe von insgesamt 36 Millionen Dollar – doch mitten im Prozess wird er erneut verhaftet, da er eine Frau umgebracht haben soll.

36 Millionen Dollar sind eine exorbitant hohe Summe, andererseits: Sind 18 Jahre im Knast mit Geld wieder gutzumachen? Averys Anwälte rechneten wie folgt: Für jedes Jahr eine Millionen Dollar Schaden­ersatz – plus noch einmal den gleichen Betrag. Macht also 36 Millionen.

Dass sich das amerika­nische vom deutschen Rechts­system teilweise erheblich unterscheidet, ist keine Neuigkeit. Wie aber verhält es sich konkret bei der Entschä­digung von Justiz­opfern?

Eindeutige Zahlen gibt es nicht, wie viele Menschen hierzulande zu Unrecht hinter Gitter sitzen. Die Süddeutsche Zeitung rechnet nach Recherchen und Anfragen in den einzelnen Bundes­ländern im Jahr 2012 von durchschnittlich 192 Menschen, die jeden Tag für ein Vergehen in Haft oder Untersu­chungshaft sitzen, das sie nicht begangen haben – oder das ihnen nicht nachge­wiesen werden konnte.

Haftent­schä­digung in Deutschland: 25 Euro pro Tag

Anders als in den USA ist in Deutschland genau festge­schrieben, wie viel Geld zu Unrecht Inhaftierte erhalten: 25 Euro für jeden Tag hinter Gittern, sobald das entspre­chende Urteil rechts­kräftig ist. Diese Entschä­digung wird für den immate­riellen Schaden bezahlt. Sie hat somit die Funktion eines Schmer­zens­geldes. Ersatz für materielle Schäden kann auch verlangt werden, der Nachweis ist aber kaum zu führen.

Aus Sicht verschiedener politischer und gesell­schaft­licher Akteure ist dieser Betrag viel zu gering. Mitte des vergangenen Jahres etwa forderte der Deutsche Anwalt­verein erneut eine Entschä­digung von mindestens 100 Euro pro Tag. Er forderte die Justiz­mi­nis­ter­kon­ferenz auf, sich dem Thema ernsthaft anzunehmen. In anderen EU-Ländern, wie in Österreich, haben Justizopfer eben jene 100 Euro erhalten. „Es kommt darauf an, wieviel ein Tag in Freiheit wert ist. Es wurden für entgangene Urlaubs­freuden oder zu Unrecht von Kaufhaus­de­tektiven Festge­haltene schon höhere Entschä­di­gungen gezahlt“, erläutert Rechts­anwalt Swen Walentowski von der Deutschen Anwalt­auskunft.

Wer also ein Jahr lang zu Unrecht im Gefängnis sitzt, was auch die Untersu­chungshaft einschließt, bekommt anschließend 9.125 Euro. In der Tat kann mit gutem Recht gefragt werden: Knapp 10.000 Euro für den Freiheits­entzug, die gesell­schaftliche Stigma­ti­sierung und womöglich darüber hinaus familiäre und berufliche Verwer­fungen? Übrigens: Bis zum Jahr 2009 lag der Betrag sogar bei nur 11 Euro.

Nun stehen also 25 Euro jedem zu, der zu Unrecht hinter Gittern saß, dem also seine Freiheit entzogen wurde. Darüber hinaus kann unter Umständen ein Vermögens­schaden geltend gemacht werden.

Vermögens­schaden kann größere Ansprüche rechtfertigen

Dieser Vermögens­schaden muss durch die Strafver­fol­gungs­maßnahme verursacht worden sein, wie es im dazuge­hörigen Gesetz heißt. Zudem kann der Wert dann geltend gemacht werden, wenn er die 25 Euro am Tag übersteigt und der Inhaftierte den Schaden nachweisen kann. Ein Beispiel hierfür kann der Verdienst­ausfall sein.

Dieser Schaden wird wiederum begrenzt – durch den sogenannten Vorteils­aus­gleich. Das bedeutet: Wenn jemand einen berech­tigten Schadens­er­satz­an­spruch hat, kann der Betrag gemindert werden um jene Positionen, aus denen der Geschädigte einen Vorteil gezogen hat. Will in diesem Fall heißen: Kosten für Unterkunft und Verpflegung können vom Vermögens­scha­den­an­spruch abgezogen.

Unberührt davon bleiben allerdings die oben beschriebenen 25 Euro, da sie explizit kein Vermögens­schaden sind. Im Gesetz heißt es „...Schaden, der nicht Vermögens­schaden ist“.

Kritik auch an fehlender immate­rieller Unterstützung

Neben der Frage der monetären Entschä­digung, stehen auch andere fehlende Unterstüt­zungs­leis­tungen vom Staat in der Kritik. So fordert der Deutsche Anwalt­verein, dass unschuldig Inhaftierten geholfen wird, in der Gesell­schaft wieder Fuß zu fassen. Denn jedem Straftäter, der vorzeitig aus der Haft entlassen wird, steht die Hilfe durch einen Bewährungs­helfer zu. Ein Anspruch, den unschuldig Inhaftierte nicht haben.

Wie der Justiz­thriller um Steven Avery ausging, verraten wir hier natürlich nicht. Nur so viel: 36 Millionen Dollar hat er nicht erhalten.  

Datum
Aktualisiert am
17.07.2018
Autor
ndm
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Themen
Gericht Haft

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