Sie sind innehabende Person eines Unternehmens und haben festgestellt, dass die Konkurrenz das Design Ihrer Produkte kopiert. Oder Sie wurden unrechtmäßig gekündigt und haben ein Recht darauf, Ihrer Arbeit weiter nachzugehen ‒ aber Ihr Chef lässt Sie nicht. Dann kann Ihnen die einstweilige Verfügung (EV) helfen.
Ob Wettbewerbsrecht, Handelsrecht oder Arbeitsrecht: Ganz gleich, in welchem Bereich Ihnen Unrecht widerfahren ist, die einstweilige Verfügung bietet Ihnen vorläufigen und schnellen Rechtsschutz. Unter welchen Umständen Sie eine einstweilige Verfügung erwirken können, lesen Sie zu Beginn. In einem zweiten Teil erfahren Sie, wie Sie auf eine einstweilige Verfügung reagieren können.I.
Wie kann ich eine einstweilige Verfügung erwirken?
Mit einer einstweiligen Verfügung sorgen Sie für vorläufigen Rechtsschutz – und zwar immer dann, wenn besondere Eilbedürftigkeit besteht. „Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn Sie gerade erst von einer Rechtsverletzung Kenntnis erlangt haben“, erklärt der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Lukas Kalkbrenner.
Durch Ihren Antrag leiten Sie ein gerichtliches Eilverfahren ein, das den Schutz Ihrer Rechte schon vor einer Gerichtsentscheidung im eigentlichen Hauptsacheverfahren sicherstellt. Und das meist ohne Anhörung und sehr zeitnah.
Welche Voraussetzungen müssen vorliegen?
Das einstweilige Verfügungsverfahren ist in der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Folgende Voraussetzungen sind nötig, damit Sie einen Antrag stellen können:
- Es muss ein Verfügungsanspruch vorliegen: Im Klartext: Sie müssen Ihren Anspruch gegenüber dem Schuldner glaubhaft machen. Dabei kann es um die Herausgabe von dringend benötigten Gegenständen oder um das Unterlassen bestimmter Handlungen gehen. Jedoch darf der Anspruch im Eilverfahren in der Regel nicht auf die Zahlung von Geld gerichtet sein; eine Ausnahme besteht im Unterhaltsrecht.
- Es muss einen Verfügungsgrund geben: Der Vorteil der EV ist, dass sie schnellen Rechtsschutz bietet. Der wird aber nur gewährt, wenn dringender Handlungsbedarf besteht. Demnach müssen Sie dem Gericht möglichst lückenlos glaubhaft machen, dass Ihr Anspruch gefährdet oder die Erhaltung des Rechtsfriedens ohne den vorläufigen Rechtsschutz in Gefahr ist. „Wichtig ist an dieser Stelle, dass Sie die besondere Dringlichkeit deutlich machen“, rät DAV-Rechtsexperte Dr. Kalkbrenner. „Diese ist vom Zeitpunkt abhängig, an dem sie von der Rechtsverletzung Kenntnis erlangt haben.“
- Sie müssen Ihr Anliegen glaubhaft machen: Sie haben einen Anspruch und es ist Eile geboten. Jetzt gilt es, den Tatbestand glaubhaft zu machen. Dazu kommen alle gängigen Beweismittel sowie Urkunden oder eidesstattliche Versicherungen von Ihnen oder Zeugen infrage. Machen Sie dem Gericht die Sachlage so deutlich, dass keine Zweifel an der Richtigkeit und Dringlichkeit Ihres Antrages offenbleiben. „Dabei kann es erforderlich werden, sogar auf vorgerichtlich geäußerten Vortrag der Gegenseite einzugehen und diesen im Antrag zu widerlegen“, sagt Dr. Kalkbrenner. „Vorgerichtliche Korrespondenz sollten Sie dem Antrag beifügen, um dem Gericht nichts vorzuenthalten.“
- Es muss ein Verfügungsgesuch geben: Ein Verfügungsgesuch ist nichts anderes als der eingereichte Antrag. Diesen können Sie direkt beim zuständigen Gericht oder zu Protokoll bei der Geschäftsstelle abgeben.
Der nächste Schritt: Vollziehung der einstweiligen Verfügung
Hat das Gericht für den Antragsteller entschieden, wird die einstweilige Verfügung erlassen. Ab wann der gerichtliche Titel zu befolgen ist, richtet sich nach der Art der Entscheidung. Folgende Optionen gibt es:
1. Das Gericht entscheidet per Beschluss
Per Beschluss bedeutet, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung über den Erlass entschieden hat. Die Verfügung wird damit erst gültig, wenn Sie als Antragsteller dem Antragsgegner den Erlass innerhalb einer Monatsfrist zukommen lassen. In der Regel wird eine beglaubigte Abschrift der vollstreckbaren Ausfertigung des Beschlusses zugestellt. „Diese sogenannte Vollziehung ist Voraussetzung für die spätere Vollstreckung aus dem gerichtlichen Titel“, so Rechtsexperte Dr. Kalkbrenner.
Wurde der Antragsgegner vorgerichtlich von einem zustellungsbevollmächtigten Anwalt vertreten, stellen Sie die beglaubigte Abschrift unbedingt dem Anwalt zu. Gibt es mehrere Antragsgegner, so müssen Sie jedem ein Schriftstück zustellen. War der Antragsgegner vorgerichtlich nicht anwaltlich vertreten, so erfolgt die Zustellung an den Antragsgegner selbst, am besten durch den Gerichtsvollzieher.
Haben Sie die Monatsfrist verstreichen lassen, kann das Gericht die Verfügung wieder aufheben – mit negativen Folgen für Sie: „Bei einem erneuten Antrag wird es aller Voraussicht nach schwierig werden, die Dringlichkeit zu beweisen“, erklärt der Freiburger Rechtanwalt.
2. Das Gericht entscheidet per Urteil
Wurde die Verfügung nach mündlicher Verhandlung durch ein Urteil erlassen, so ist das Urteil grundsätzlich mit der Verkündung wirksam. Die einmonatige Vollziehungsfrist beginnt unmittelbar nach dem Urteilsspruch. Innerhalb der Frist muss das Gericht die Verfügung ausfertigen und der Antragsteller sie dem Antragsgegner zustellen.
II. Wie kann ich eine einstweilige Verfügung abwenden?
Sie haben eine Verfügung erhalten und wissen nicht, wie Sie damit umgehen sollen? Wir zeigen Ihnen fünf Möglichkeiten, rechtlich mit Hilfe eines Rechtsanwaltes, auf eine EV zu reagieren:
Möglichkeit 1: Schutzschrift
Ahnen Sie, dass eine einstweilige Verfügung gegen Sie ergehen könnte, etwa weil Sie eine vorgerichtliche Abmahnung erhalten haben, können Sie eine sogenannte Schutzschrift beim Zentralen Schutzschriftenregister einreichen. In der Schutzschrift können Sie dem zuständigen Gericht aufzeigen, weshalb ein etwaiger Antrag zurückzuweisen ist – oder jedenfalls nicht ohne mündliche Verhandlung darüber entschieden werden sollte. „Mithilfe einer Schutzschrift vermeiden Sie, dass das Gericht nur auf Grundlage einseitigen Vortrags des Antragstellers entscheidet“, so Dr. Kalkbrenner.
Möglichkeit 2: Widerspruch
Sie können Widerspruch einlegen, wenn eine Beschlussverfügung ohne mündliche Verhandlung ergangen ist. Bitte beachten Sie aber, dass Ihr Rechtsbehelf die Verfügung nicht sofort aufhebt. Solange das Gericht nicht über Ihren Widerspruch entschieden hat, sollten Sie sich deswegen an die in der Verfügung festgesetzten Auflagen halten. Nach der Einreichung Ihres Widerspruchs erhalten Sie vom Gericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung. Im Laufe der mündlichen Verhandlung haben Sie die Chance, Ihren Standpunkt zu verteidigen. Hat das Gericht dem Widerspruch stattgegeben, ist die Verfügung vom Tisch und die Auflagen sind passé. Die Verfahrenskosten werden der unterlegenen Partei auferlegt.
Möglichkeit 3: Berufung
Wenn Sie – wegen einer nach mündlicher Verhandlung ergangenen Urteilsverfügung oder einer nach Widerspruch bestätigten Verfügung – in Berufung gehen, wird der Fall in zweiter Instanz entschieden. Aber Vorsicht ‒ eine Berufung ist Chance und Risiko zugleich. Sollten Sie das Berufungsverfahren verlieren, tragen Sie automatisch die gesamten Verfahrenskosten. Deswegen sollten Sie gründlich abwägen, wie sinnvoll eine Berufung in Ihrem Fall ist. Anwältinnen und Anwälte stehen Ihnen in diesem Fall gerne beratend zur Seite.
Möglichkeit 4: Hauptsacheklage erzwingen
Damit zwingen Sie den Antragsteller dazu, innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist eine Hauptsacheklage zu erheben. Versäumt der Antragsteller diese Frist, kann die einstweiligeVerfügung auf Ihren Antrag aufgehoben werden. Dies gilt auch, wenn sich im Hauptsacheverfahren zeigt, dass die Verfügung zu Unrecht ergangen ist. „Der Antragsteller trägt dann sowohl die Kosten des Verfügungs- als auch des Hauptsacheverfahrens“, so Kalkbrenner.
Möglichkeit 5: Antrag auf Aufhebung wegen veränderter Umstände
Haben sich die Umstände nach dem Erlass einer Verfügung verändert, haben Sie als Antragsgegner die Möglichkeit, eine Aufhebung zu beantragen. Das ist der Fall, wenn sich beispielsweise Rechtsänderungen und Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben, die dem Verfügungsanspruch den Boden entziehen.
Möglichkeit 6: Abschlussschreiben und Abschlusserklärung
Die Abschlusserklärung ist der häufigste und wahrscheinlich schnellste Weg, mit einer einstweiligen Verfügung umzugehen ‒ sofern Sie sich nicht im Unrecht sehen. Nach Erhalt des Erlasses geben Sie eine Abschlusserklärung ab. In der Erklärung erkennen Sie die einstweilige Verfügung damit als endgültige und verbindliche Regelung an, sodass es keines separaten Hauptsacheverfahrens mehr bedarf. „Geben Sie die Abschlusserklärung unbedingt zeitnah nach der Zustellung der Verfügung ab“, rät DAV-Rechtsexperte Dr. Kalkbrenner. „Ansonsten droht möglicherweise ein – weitere Kosten verursachendes – Abschlussschreiben der Gegenseite.“
Übrigens: Eine Verfügung einfach zu ignorieren, ist keine Lösung. Im Zweifel wird sehr schnell eine Strafe – etwa in Form eines Ordnungsgeldes – fällig, wenn Sie sich nicht an den gerichtlichen Titel halten. Behalten Sie außerdem im Hinterkopf, dass es sich bei einer Verfügung nicht um eine endgültige Regelung handelt. Das letzte Wort wird im Hauptsacheverfahren gesprochen.
Wer zahlt die Kosten des Verfahrens?
Wer die Kosten für die einstweilige Verfügung trägt, steht in der Entscheidung über die Verfügung. In der Regel ist das der Antragsgegner. „Spricht das Gericht weniger zu, als der Antragsteller beantragt hat, kommt eine sogenannte Kostenquotelung in Betracht, bei der anteilige Kosten dem Antragsteller auferlegt werden“, erklärt der Freiburger Anwalt.
Die Höhe der Kosten richtet sich nach dem vom Gericht festgesetzten Streitwert. Dazu kommen die Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten, zum Beispiel die Kosten für einen Rechtsanwalt.
Im Unterschied zu einer Klage ist ein Antragsteller bezüglich der Gerichtskosten von der so genannten Kostenvorschusspflicht befreit. Das bedeutet, die Kosten sind nicht vor, sondern nach der gerichtlichen Entscheidung zu zahlen.
Schadensersatzansprüche
Für den Fall, dass Sie sich zu Unrecht an Auflagen einer Verfügung halten mussten, können Sie nach § 945 ZPO grundsätzlich Schadensersatz vom Antragsteller verlangen. Zum Beispiel, wenn Sie gezwungen waren, Ihr Geschäft aufgrund einer Auflage zu schließen und unter Umsatzeinbußen leiden mussten. Dabei handelt es sich um einen konkreten Schadensfall, den Sie über das Gericht in Form einer Schadensersatzklage geltend machen können.
Unser Tipp: Nehmen Sie sich einen Rechtsanwalt
Das Verfahren rund um die einstweilige Verfügung ist komplex und die Lösungen so vielfältig wie das Problem selbst. Eine Anwältin oder ein Anwalt kann Ihnen dabei helfen, die Übersicht zu behalten, Akteneinsicht fordern und Sie den gesamten Prozess über begleiten. Rechtsanwälte zum Thema finden Sie in unserer Anwaltssuche.
- Datum
- Aktualisiert am
- 19.02.2024