An Parkbänken und Laternenpfosten kann man sie noch vereinzelt finden: Blaue, mittlerweile verblasste Aufkleber, die Asyl für Edward Snowden fordern. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter hatte vor einigen Jahren publik gemacht, dass der amerikanische Geheimdienst und seine Partnerdienste teilweise flächendeckend die Kommunikation in den USA und einigen anderen Ländern überwachen. Seine Enthüllungen schlagen bis heute hohe Wellen, die Empörung in Deutschland ist enorm. Auch die Arbeitsweise des BND steht seit dem in der Kritik.
Der BND ist der deutsche Auslandsgeheimdienst. Seine Aufgabe ist es, den deutschen Staat vor Bedrohungen von außen zu schützen. Um zum Beispiel geplante Terroranschläge zu verhindern überwacht er E-Mails und Telefongespräche. Dabei geht es in erster Linie um strategische Überwachung der Inlands-Auslands-Kommunikation. Das heißt um die Telefonate und E-Mails, die Menschen aus Deutschland in andere Länder schicken beziehungsweise mit anderen Ländern führen. Diese werden systematisch nach bestimmten Suchworten durchforstet.
Ausmaß der Überwachung dürfte viele überraschen
Das leuchtet ein – unbekannt ist vielen jedoch das Ausmaß der Überwachung. Dass der Geheimdienst zum Beispiel Menschen überprüft, die als sogenannte Hassprediger bekannt sind, scheint sinnvoll. Doch darauf beschränkt der BND sich nicht.
Er überwacht einen Großteil der Kommunikation aus Deutschland in fast alle Länder der Welt. Auch viele europäische Länder sind dabei. Eine Zahl zur Verdeutlichung: Allein 2010 wurden 37 Millionen E-Mails und Datenverbindungen den Suchworten zufolge als Treffer klassifiziert. Dabei sind nicht nur E-Mails von Terrorverdächtigen, sondern auch von deren Kontakten. Denn auch die werden überwacht.
Auch entfernte Kontakte von Verdächtigen abgehört
Betroffen sind nicht nur direkte Kontakte, sondern alle Kontakte bis auf die fünfte Kontaktebene. Wenn zum Beispiel Peter aus dem Sauerland seine Semesterferien in einem Al-Qaida-Camp verbracht hat, wird er überwacht. Und seine Freunde, und deren Freunde, und deren Freunde, und deren Freunde. Geht man von der Theorie aus, dass jeder mit jedem Menschen auf der Welt über sechs Ecken verknüpft ist, wird klar: Überwacht werden fast alle.
BND hat die Lizenz zur Überwachung
Moment, darf der BND das? Ja, er darf sagt Rechtsanwalt Prof. Niko Härting. „Der BND hat die Befugnis zur anlasslosen Überwachung. Diese Genehmigung gilt jeweils für drei Monate. Man kann sie sich als Blankovollmacht vorstellen.“ Das laufe folgendermaßen ab: Der BND stellt einen Antrag auf diese Befugnis beim Bundesinnenministerium. Diese leitet den Antrag weiter zur G-10-Kommission, die ihn ans Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) weiterleitet.
G-10-Kommission: Kontrollinstanz für den BND
Die G-10-Kommission leitet ihren Namen vom sogenannten G-10-Gesetz ab, dem Gesetz zur Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Grob gesagt legt das Gesetz fest, dass der BND zur Abwehr drohender Gefahren das Fernmeldegeheimnis übergehen, also Kommunikation überwachen darf. Es ist Aufgabe der G-10-Kommission zu prüfen, ob der BND sich noch im Rahmen des Gesetzes bewegt. Sie übernimmt sozusagen die Funktion eines Ersatzgerichts.
Das Problem: Dieses Gremium besteht nur aus vier Parlamentariern. Sie nehmen nicht hauptberuflich daran teil und tagen unregelmäßig, durchschnittliche einmal im Monat. Ein Geheimdienst lässt sich so nur schwer kontrollieren. Hinzu kommt: Die Mitglieder mögen sehr fähige Politiker sein, mit Blick auf die komplizierte Materie und die komplexe Funktionsweise der Überwachungssoftware sind die meisten jedoch Laien.
Kaum eine echte Kontrolle
„Die G-10-Kommission winkt die Anträge meist nur durch“, sagt Rechtsanwalt Härting. Der Experte für IT-Recht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) vermutet verschiedene Gründe dahinter. Abgesehen von der fehlenden Sachkunde sei das Gremium personell komplett unterbesetzt. „Außerdem muss man sehen, dass der Geheimdienst gegenüber der Kommission mit der nationalen Sicherheit argumentiert“, erklärt Härting. „Man stelle sich nur vor, der Kommission schränkt die Überwachungsbefugnis des BND ein und es kommt zu einem Terroranschlag.“ Diese Verantwortung wolle niemand übernehmen.
Ähnlich sieht im PKGr aus. Darin sind Mitglieder des Bundestages tätig. Für sie gilt ähnliches wie für die G-Kommission: Sie sind keine Experten auf dem Gebiet und haben zu wenige Kapazitäten, um sich der Aufgabe in vollem Umfang zu widmen. Alle Stellen delegieren also die Verantwortung weiter – und niemand traut sich an die enorme Verantwortung heran. „Die Kommission und das Kontrollgremium sind im Grunde ein Feigenblatt dafür, dass die Überwachungspraxis des BND nicht kontrolliert wird“, sagt Prof. Härting.
Gläserne Bürger, verschlossener Staat
Angesichts der flächendeckenden Überwachung durch den BND wundert es, warum sich viele Deutschen über die NSA echauffieren. Der deutsche Geheimdienst geht schließlich ähnlich vor. „Möglicherweise haben viele Deutsche eine Art Urvertrauen, wenn es um Behörden geht“, vermutet Härting. Diese seien vielleicht etwas schwerfällig, aber letztlich sei Deutschland doch ein Rechtsstaat, wo alles gerichtlich kontrolliert wird, dürften viele denken. Sich über die „bösen Amis“ aufzuregen falle leichter.
Vielleicht kann sich auch einfach niemand vorstellen, was hinter den gut verschlossenen Türen des BND abläuft. Diese Türen sind immer besser gesichert. „Seit einigen Jahren ist die Tendenz erkennbar, dass der Staat immer mehr Daten von den Menschen sammelt, im Gegenzug aber immer weniger von sich preisgibt.“
Je mehr der Geheimdienst weiß, desto sicherer müsste die Welt doch werden, oder? Dennoch ist wenig darüber bekannt, welche Terroranschläge oder andere Gefahren der BND vereitelt hat. Es mutet sonderbar an, dass darüber nichts bekannt wird. Schließlich sind es großen Summen von Steuergeldern, die dafür verwendet werden.
Datenflut kann kaum ausgewertet werden
Sicher ist derweil nicht, wie die Beziehungen zwischen NSA und BND einzustufen sind. Es scheint erwiesen, dass der amerikanische Dienst über den deutschen die Kommunikation in der Bundesrepublik überwachen ließ. Ob das mit Einverständnis des BND geschah oder ohne dessen Wissen, ist noch unklar.
Ebenfalls nicht sicher ist, was mit den Daten geschieht. Denn zumindest die NSA kann die Unmengen von Informationen, die sie gesammelt hat, nicht komplett auswerten. Dazu gibt es bislang noch keine zuverlässigen Programme.
DAV: Stärkere Kontrolle nötig
Klar ist hingegen: Die Geheimdienste müssen stärker kontrolliert werden. Prof. Härting geht davon aus, dass es in naher Zukunft Vorschläge zu Gesetzesänderungen geben werde. Der DAV hat in einer Taskforce Vorschläge für eine Reform der Nachrichtendienste erarbeitet. „Ein funktionierender Staat muss in der Lage sein, berechtigte Sicherheitsansprüche seiner Bürger zu erfüllen“, erklärt Rechtsanwalt Ulrich Schellenberg, DAV-Präsident. Gleichzeitig liege es im Interesse des Gemeinwohls, dass jede geheimdienstliche Tätigkeit auch der demokratisch legitimierten Kontrolle unterliege.
„Anwalt der Betroffenen“ soll Ausgespähte vertreten
So fordert der DAV unter anderem, dass das Anwaltsgeheimnis gewahrt bleibe. Denn auch die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant ist derzeit nicht vor Überwachung geschützt. Zudem setzt sich der DAV dafür ein, dass das Parlamentarische Kontrollgremium und die G10-Kommission erweitert und von qualifiziertem Personal unterstützt werden. Daneben plädiert der DAV dafür, dass bei dem G-10-Genehmigungsverfahren, also der Entscheidung der Kommission, ob dem BND für weitere drei Monate die Blanko-Vollmacht erteilt wird, nicht nur der BND angehört wird, sondern auch die Gegenseite. Das müsste jemand sein, der die ausgespähten Bundesbürger vertritt, ein sogenannter „Anwalt der Betroffenen“. Auch gegen den BND zu klagen könnte eine Möglichkeit sein.
- Datum
- Aktualisiert am
- 22.10.2015
- Autor
- vhe