Der Fall RedTube führte zu einer medialen Berichterstattung, die Abmahnanwälte teils pauschal als geldgierig darstellte. Tatsächlich hätte es zu dieser Massenabmahnung eigentlich nicht kommen dürfen. Das Vorgehen bei Abmahnungen: Zunächst beauftragt der vermeintlich Geschädigte einen Anwalt, der sich an ein Gericht wendet, um an die Daten der Nutzer zu kommen, die eine Urheberrechtsverletzung begangen haben sollen. Im Antrag dieses konkreten Falls hieß es, die Abzumahnenden hätten Inhalte illegal gedownloaded. Doch ging es de facto nicht um Downloads, sondern ums Streaming eines Pornofilms. Das Landgericht Köln erteilte dennoch den Beschluss, kassierte ihn inzwischen aber wieder, nachdem einige der Beklagten Beschwerde eingelegt hatten. Somit zeichnet sich der Fall RedTube vor allem dadurch aus, dass zum ersten Mal die Frage in dieser Lautstärke gestellt wurde, inwieweit Streaming bereits eine Abmahnqualität hat.
Abmahnung: Ein Instrument gegen Rechtsverstöße
Um einige Missverständnisse auszuräumen, aber auch, um die Problematik sowie Lösungsansätzen zu diskutieren, hat die Deutsche Anwaltauskunft ein ausführliches Gespräch mit Ulrich Schellenberg geführt. Er ist Rechtsanwalt und Vizepräsident des Deutschen Anwaltverein (DAV) und sagt: „Abmahnungen im Allgemeinen sind nichts Unanständiges."
1. Problematik: Die Hürden für Massenabmahnungen sind zu niedrig
Wenn ein Anwalt ein, zwei oder drei Urheberverletzungen verfolgt, ist das völlig in Ordnung. Problematisch wird es dann, wenn es zu einer massenhaften und gewerbsmäßigen Tätigkeit wird – wie im Fall RedTube. Das sollte man hinterfragen, findet Ulrich Schellenberg: „Das ist etwas, dass sich ab einer bestimmten Größenordnung mit dem klassischen Bild des Anwalts beißt.“ Daher müsse das Prinzip der Massenabmahnungen hinterfragt werden. „Die anwaltliche Tätigkeit ist immer darauf ausgelegt, eine einzelfallspezifische Prüfung vorzunehmen“, so Schellenberg. Das hieße nicht, dass man nicht gleichgelagerte Fälle gleich behandeln könne – im Ausnahmefall. Laut Schellenberg sollte sich jeder Urheberrechtsanwalt darüber im Klaren sein, dass er jeden Fall im Einzelnen erst einmal prüfen sollten. Allein deshalb schon, um sich im Nachhinein nicht dem Vorwurf einer Täuschung ausgesetzt zu sehen.
Damit einher geht ein anderes Problem, bei dem sich Ulrich Schellenberg wünscht, eine „rote Linie“ zu ziehen. „ Anwälte dürfen sich nicht als verlängerte Werkbank anderer sehen, es also zur Geschäftsidee erhoben haben, mit relativ geringem Aufwand, einen maximalen Gewinn an Honoraren zu kassieren.“ Bei seinen Lösungsansätzen, nimmt Ulrich Schellenberg auch die Anwaltschaft in die Pflicht.
2. Rolle der Anwaltschaft: Offensiv und selbstbewusst
„Die Initiative muss von der Anwaltschaft ausgehen“, sagt Rechtsanwalt Schellenberg. „Wir haben ein ganz eigenes, originäres Interesse, dass einige Fragen geklärt werden.“ Man könne das zwar nur mit Hilfe des Gesetzgebers tun, doch müssten die Anwälte vorangehen, da die öffentliche Wahrnehmung des Berufes auch davon abhänge. Gleichsam zeigt der DAV-Vizepräsident Verständnis für die Anwältinnen und Anwälte. Dass man sich bei dem Thema schwertue, habe auch mit den zivilrechtlichen Normen zu tun, die gelten: „Wenn jemand in seinem Urheberrecht verletzt ist und sich anwaltlicher Hilfe bedient, dann kann ich das nicht ablehnen, das will ich auch nicht ablehnen“, so Schellenberg. Doch wenn dann keine Einzelfallprüfung mehr vorgenommen wird, werde es zum Problem.
3. Lösungsansätze: Wie gewerbsmäßige Massenabmahnungen verhindert werden können
So die Politik gewillt ist, weiter gegen die Massenabmahnpraxis vorzugehen, gibt es einige kleinere Stellschrauben, an denen sehr effektiv gedreht werden könnte. Rechtsanwalt Ulrich Schellenberg pocht im Gespräch mit der Deutschen Anwaltauskunft besonders auf die Prüfung des Einzelfalls und schlägt vor, dass künftig jede Abmahnung persönlich unterschrieben und nicht durch eine Faksimile-Unterschrift gültig wird, wie es derzeit erlaubt ist. „Es besteht schon eine deutliche Einschränkung, wenn sie unter 10.000 Abmahnungen Ihre Unterschrift setzen müssen“, sagt Schellenberg.
Zudem arbeiten einige Anwälte, die Massenabmahnungen verschicken, mit im Vorfeld entworfenen Musterschreiben. „Die finde ich schwierig“, sagt Schellenberg. Auch hieran könnte man die Gesetze anpassen, wenngleich er einräumt, dass in der Praxis Standardschreiben durchaus Sinn ergeben, partiell. Im Idealfall habe aber jeder Anwalt für jeden Einzelfall eine eigene Akte. Und sei es eine digitale. Doch hat die maschinelle Vereinfachung eher dazu geführt, dass im Falle eines Massenverfahrens eine anwaltliche Prüfung mitunter nicht immer korrekt erfolgt.
Inzwischen hat der Gesetzgeber bereits erste Schritte unternommen – mit dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken. Teilweise bereits in Kraft, regelt es unter anderem die Kosten bei wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen, deckelt aber auch den Gegenstandswert der ersten Abmahnung gegenüber Verbrauchern bei 1000 Euro. Der Deutsche Anwaltverein mit seinen 67.000 Mitgliedern hat den Gesetzgebungsprozess begleitet und begrüßt diese ersten Schritte. In einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Stellungnahme schlägt der Ausschuss Geistiges Eigentum des DAV darüber hinaus vor, dass der abmahnende Anwalt eine von dem Vertretenen unterschriebene (Individual-)Vollmacht für das Vorgehen gegen die abzumahnende Person vorlegt. „Eine solche Vorschrift würde dazu führen, dass der Vertretene die Abmahntätigkeit des Vertreters besser kontrollieren könnte“, so Rechtsanwältin Dr. Astrid Auer-Reinsdorff, ebenfalls DAV-Vizepräsidentin.
4. Zusammenfassung: Problem ja, aber nichts unlösbares
Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Abmahnungen sind ein wichtiges Mittel, um Recht durchzusetzen. Das sieht unsere Rechtsordnung vor und ist daher keinesfalls unanständig. Dennoch ist die Massenabmahnpraxis unter Umständen problematisch – vor allem dann, wenn wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. Doch sind es drei zentrale Bereiche, die nach Ansicht von Ulrich Schellenberg und dem Ausschusses Geistiges Eigentum des DAV dazu führen würden, die Massenabwahlpraxis einzudämmen beziehungsweise zu erschweren – und somit auch die Reputation der Anwaltschaft zu verbessern:
- Die Einzelfallprüfung, belegt durch persönlich unterschriebene Abmahnungen,
- das Verbot von Musterschreiben in Abmahnungen, die dem gleichen Zweck dienen, sowie
- eine Vollmacht des Vertretenen für den Anwalt und
- die persönliche Erreichbarkeit des Rechtsanwalts (Straße, Hausnummer, Telefonnummer, Emailadresse).
Diese gelte es zu diskutieren, so der DAV.
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.06.2014
- Autor
- ndm