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Diskussion

Verdienen ‚Hartz IV Anwälte' zu viel Geld?

Rechtsanwalt Martin Schaffhausen zur Debatte um angeblich zu viel verdienende 'Hartz IV Anwälte'. © Quelle: DAV

Im Frühsommer ein scheinbares Aufreger-Thema: Anwältinnen und Anwälte verdienen mit Hartz-IV-Mandaten zum Teil gutes Geld! Darf das sein? Rechts­anwalt Martin Schafhausen kritisiert die geführte Diskusison und verteidigt viele seiner Kollegen.

Ich mag ja diesen Begriff nicht, verwende ihn aber weiter, da in der Diskussion so plakativ von „Hartz IV Anwälten“ gesprochen wird: Spezia­li­sierte Rechts­anwälte verdienten mit diesen Mandaten Geld! „Tausende Juristen verdienen auf diese Weise ihr Geld, einige Massen­kläger generieren sogar mehrere 100.000 Euro pro Jahr.“ Es sei eine „Anwalts­in­dustrie“ entstandenen. Dass es gerade die „Hartz-IV-Anwälte“ sein mussten und nicht andere Anwalts­gruppen gescholten wurden, war sicher dem Umstand geschuldet, dass in der Presse „Hartz immer läuft“.

Zunächst schien es so, dass die Leser eines Beitrags auf Spiegel Online das Erforderliche kommen­tieren würden, es findet sich eher Kritisches zu dem Beitrag. In der Zwischenzeit hat sich aber über den Spiegel-Beitrag und die Kommentare hinaus eine rege Diskussion entwickelt. Es finden sich der eine oder andere Blog-Beitrag, besonders prägnant etwa Rechts­anwalt Wolf, „Ärzte nutzen Infektionen gezielt aus: Geld verdienen mit Krankheiten?“, oder aktuell Prof. Dr. Sell, „Böse Anwälte, gute Anwälte? Wie Rechts­anwälte mit dem (angeblichen) Geschäfts­modell "Hartz IV-Klagen" in die Medien-Mangel genommen werden und warum da was fehlt“, auch Printmedien haben sich der Sache angenommen.

„Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie es abläuft"

Die Antwort der Bundes­re­gierung auf eine Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag zu der Erfolgsquote von Widersprüchen gegen Sankti­ons­be­scheide nimmt Joachim Jahn im Wirtschaftsteil der FAZ vom 19. Juni 2014 zum Anlass, die Thesen aufzugreifen. Hatte ich es in einer Glosse im aktuellen Heft der ASR – Anwalt/Anwältin im Sozialrecht – noch für ausreichend angesehen, den Wolfschen Blog-Beitrag zu zitieren, zeigt die Diskussion jetzt, dass es damit nicht sein Bewenden haben kann. Das eine oder andere muss doch gesagt werden.

Über diese Diskussion muss man sich aufregen. Als Sozial­rechtler weiß man es aus eigener Erfahrung besser, kennt Kolleginnen und Kollegen, die engagiert ihren Mandanten in Grundsi­che­rungs­sachen zur Seite stehen und nicht sechsstellig gegenüber den Jobcentern abrechnen. Wir gehen mit den Rechts­grundlagen um, erfahren, wie Jobcenter arbeiten und wissen daher, was an der Diskussion falsch ist. Es ist  vor allem die Einsei­tigkeit in der Bericht­erstattung, das Heraus­nehmen nur dieser einen angespro­chenen „Anwalts­gruppe“, vielleicht gerade dieser, die die Replik erforderlich macht.

„Vom Einzelfall auf die große Mehrheit schließen? Das ist nicht zulässig"

Um es vorweg klarzu­stellen, aus eigener Anschauung weiß ich nicht, ob der Vorwurf, die Bundes­agentur für Arbeit habe im Jahre 2012 mehreren im Grundsi­che­rungs­an­ge­le­gen­heiten tätigen Kanzleien in Berlin Kosten in Höhe von jeweils über 100.000,00 € erstattet, richtig ist. Ich habe keinen Anlass, dies in Zweifel zu ziehen.

Es sind aber auch nur Einzelfälle, ohne dass aus diesen Einzel­fällen Rückschlüsse auf die große Mehrheit der in diesem Rechts­gebiet tätigen Kolleginnen und Kollegen zulässig sind. Aus eigener Anschauung kann ich auch nicht bestätigen, dass es „Hartz-IV-Anwälte“, die ihr Geschäft industriell betreiben sollten, in jedem Bundesland gibt. Auch dies möchte ich nicht in Zweifel ziehen, es zeigt doch nur, dass es in ganz Deutschland einen großen Bedarf gibt, anwalt­lichen Rat auch in solchen sozial­recht­lichen Fragen zu erhalten.

„Es geht hierbei um die Sicher­stellung des Lebens­un­terhalts der Mandanten"

Eines darf man nicht aus den Augen verlieren: In Hartz-IV-Sachen streiten wir um die Sicher­stellung des Lebens­un­terhalts. Das hier Verfas­sungsrecht betroffen ist, ist nicht erst seit der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur Höhe der Regelsätze bekannt. Auch vermeintlich niedrige Beträge, die nicht zur Auszahlung kommen oder zurück­ge­fordert werden, gehen angesichts eines Regelsatzes von zurzeit 391 Euro an die Substanz. 40 Euro haben oder nicht haben, sind 10% der Leistung. Wer würde nicht um eine Gehalts­kürzung von 10% vor das Arbeits­gericht ziehen.

Wir sind in einem Rechts­gebiet unterwegs, das erst wenige Jahre jung ist und zahlreichen Gesetzes­än­de­rungen erfahren hat. Hier tut sich viel, ändert sich noch mehr. Widersprüche und Klagen haben in einem großen Umfang Erfolg, die Ausgangs­be­scheide sind falsch. Eine Erfolgsquote von rund 40% spricht eine deutliche Sprache, 4 von 10 Bescheiden sind falsch! Dies mag an schlechten gesetz­lichen Regelungen liegen oder an belasteten Behörden. Aber auch falsche Bescheide von überar­beiteten Jobcentern sind falsche Bescheide. Zu rügen sind nicht die Anwältinnen und Anwälte, die in diesem Bereich tätig werden, zu rügen ist auch der Gesetzgeber, der ausrei­chende Mittel nicht zur Verfügung stellt, um die Jobcenter personell besser auszustatten. Auch die Personal­politik der Jobcenter ist im Auge zu behalten. Viel zu häufig werden befristete Arbeits­verträge abgeschlossen und Mitarbeiter nicht weiter beschäftigt, die über eine größere Erfahrung verfügen.

„Vier von zehn Bescheiden sind falsch"

Und es sind eben nur diese falschen Bescheide, die dazu führen, dass die Jobcenter Anwalts­kosten zu erstatten haben. Dieser Umstand geht in der Diskussion um die vermeintlich so geschäfts­tüchtigen „Hartz-IV-Anwälte“ verloren. Hat der Leistungs­be­rechtigte einen Anwalt schon im Antrags- oder auf einen Überprü­fungs­antrag beauftragt, kommt selbst dann, wenn dem Antrag entsprochen wird oder im Überprü­fungs­ver­fahren festge­stellt wird, dass Bescheide in der Vergan­genheit falsch gewesen sind, eine Kosten­er­stattung nicht in Betracht. Ebenso wenig, wenn sich heraus­stellt, dass der Bescheid richtig gewesen ist, die Behörde keinen Fehler gemacht hat.

Es werden keine Mandate künstlich auf verschiedene Monate oder andere Personen einer Bedarfs­ge­mein­schaft erstreckt. SGB II-Leistungen werden (noch) nur für ein halbes Jahr bewilligt, danach muss ein neuer Antrag gestellt und beschieden werden. Nach der Rechtsprechung muss der Bevoll­mächtigte für jedes Mitglied der Bedarfs­ge­mein­schaft Widerspruch einlegen oder Klage erheben. Tut er dies nicht, unterläuft ihm ein Fehler, für den er haftet.

Es ist Tagesge­schäft, das in Grundsi­che­rungs­mandaten „pro bono“ gearbeitet wird. Und selbst dann, wenn Beratungshilfe gewährt wird, ernährt die Geschäfts­gebühr den Anwalt kaum. Selbst wenn „nur“ Widerspruch eingelegt wird, sind die von der Staatskasse zu zahlenden 85 Euro nicht wirklich kosten­deckend. Bei 85 Euro bleibt es auch, wenn der Anwalt, etwa um einen Überprü­fungs­antrag oder einen Widerspruch zu begründen, nicht nur Rechts­aus­füh­rungen machen muss, sondern auch zu den tatsäch­lichen Gegeben­heiten vorträgt und Berech­nungen überprüft, eigene Ermitt­lungen anstrengt. Der Ratsuchende trägt so oder so, was angesichts der Regelsätze schon nicht unerheblich ist, eine eigene Gebühr in Höhe von 15 Euro.

Datum
Aktualisiert am
01.08.2014
Autor
Martin Schafhausen
Bewertungen
5264
Themen
Anwalt Hartz IV Plädoyer

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