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Plädoyer

Braucht ein #Neuland keine Verfassung?

Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, plädiert unser Schülerautor. © Quelle: Andreas Burkhardt/DAV

Mit seinem Aufsatz "Braucht ein #Neuland keine Verfassung" hat der Abiturient Killian Stenzel aus Bad Mergentheim beim Schüler­wett­bewerb des Deutschen Anwalt­vereins zum Thema „Die Würde des Menschen ist unantastbar – außer im Internet?“ den zweiten Platz belegt. In seinem Text, den Sie hier in voller Länge lesen können, wirbt der Schüler für einen gerechteren und rechtmäßigen Umgang im Netz.

„Das Internet ist für uns alle Neuland (…)“ Dieses Zitat ist gerade mal gute zwei Jahre alt und stammt von Kanzlerin Angela Merkel, die dafür viel Kritik und Häme - vor allem im besagten #Neuland - einstecken musste.

Will man diesen Satz nun als persön­liches Armuts­zeugnis oder verspätete politische Reaktion auf die Existenz dieses neuen „Kontinents“ werten, so steckte darin doch eine wichtige Essenz: Wir bewegen uns auf unerforschtem Terrain, wir sind Pioniere einer weltweiten Erforschung, wir - das sind 3 Milliarden - Nutzer eines Netzwerks, das sich täglich ausdehnt, wie einst die „Frontier“ - das Grenzland - in den Vereinigten Staaten.

Doch nach Jahrzehnten, in denen das Gesetz des Stärkeren galt, hatte man sich dort 1787 auf ein gemeinsames Wertesystem in einem endlos erschienenen Land geeinigt: Die Verfassung. Gibt es auch im Netz eine bestimmte Grenze der Ausdehnung, ist irgendwann vielleicht kein Platz mehr? Sind dem Internet überhaupt Grenzen durch eine Verfassung gesetzt? Gibt es auch ethische Grundsätze in dieser Gemein­schaft aus Nutzern oder herrscht hier bis jetzt auch nur das Recht der Masse, gegeneinander statt miteinander?

Die physischen Grenzen des Internets sind noch lange nicht erschlossen, die virtuelle Landkarte ist größtenteils weiß. Über die Beschaf­fenheit der realen Grenzen des Internets lässt sich mit Sicherheit streiten und Prognosen sind äußerst schwer zu treffen. Allerdings sind die umsatz­stärksten Unternehmen weltweit Anbieter von internet­fähiger Hardware und Software, weshalb ein Erreichen der Kapazität wahrscheinlich auf sich warten lässt, solange nicht jeder Mensch auf dem Planeten zu einem sogenannten Smombie mutiert ist. - Komisch, wie sich in einem Neuland innerhalb von zwei Jahren eine Zombie-Apokalypse entwickeln kann.

Wer behauptet, das Internet sei rechts­freier Raum, hat sich zum Glück getäuscht. Es existieren vereinzelt Rechte, deren Durchsetzung sich allerdings schwierig gestaltet. Illegale Seiten kommen und gehen, deren Betreiber schwer dingfest zu machen. Neben dem Urheberrecht, Vertrags­schutz und einem - so scheint es -schwammigen Datenschutzrecht, gibt es im Internet bis jetzt kein interna­tionales Strafrecht und keine Verfassung. Dieses Problem kann deshalb kein Land im Alleingang lösen, denn „worldwide“ bedeutet eben auch hier „worldwide“. In jedem Land gelten im „web“ andere Spielregeln und Grenzen.

Der rechtsfreie Raum hört dort auf, wo man es nicht versäumt, das Recht zu verteidigen. Oft wird nur bei finanziellen Schäden auf einer Grenze beharrt. Die ethischen Grenzen hingegen sind nach wie vor offen: Cyber-Mobbing, Shitstorms und neuerdings rassis­tische Hetze gegen Flüchtlinge werden selten geahndet und entwickeln sich zu einem Alltags­phänomen.

Der „Spielplatz WWW“ bietet jedem Individuum unserer pluralis­tischen Gesell­schaft eine Schaukel oder eine Rutsche, auf der es sich austoben kann. Nur leider ist es ein Spielplatz für Erwachsene und nicht alle sind zum Spielen, Reden oder Spaßhaben da. Das Gegenteil ist der Fall, geht jemand unachtsam mit seinen Daten um. Im Netz ist man schnell sein Geld, seinen Ruf oder seine Würde los, da viele - in den Deckmantel der Anonymität gehüllt - vergessen, dass hinter jedem Bildschirm ein Mensch mit echten Gefühlen steckt, die so komplex sind, dass sie nicht durch Emojis ausgedrückt werden können. Täglich kollidieren Interessen frontal - kein Ort für Kompromisse. Spaß wird auf Kosten der Anderen gemacht - jeder liebt jeden, jeder folgt jedem, jeder hört jedem zu, bis alle auf einmal einen hassen.

Wo bliebt allerdings der Schutz von Privat­personen, öffent­lichen Personen, ethnischen Minder­heiten, Flücht­lingen? Müssen wir alle damit rechnen, dass uns jeder Riss in unserem Mantel der Unsicht­barkeit schadet? Dass jede Information die Google, Facebook, Twitter und Co. von uns sammelt, eine zu viel ist? Dass wir erpresst werden können, weil wir unsere Privat­sphäre der Wirtschaft auf dem Silber­tablett serviert haben?

Alles Fragen, die eigentlich nicht nur mich, sondern auch den Staat beschäftigen sollten, der nach eigenen Angaben schon auf dem neuen Kontinent „Internetzia“ angekommen ist. Bis jetzt verteidigt er die Verfassung nur im realen Leben, jedoch nur in Ausnah­me­fällen online, wo doch „Meinungs­freiheit“ und „Privat­sphäre“ fließend in „ungehemmte Volksver­hetzung“ und „anonymi­sierte Kriminalität“ übergehen. Der Staat muss bei der Verletzung der Menschenwürde im Netz adäquat reagieren und verfas­sungs­feind­lichen Gruppen schnellst­möglich die Öffent­lichkeit und die Kommuni­kation entziehen, da sonst der Terror und die Gewalt, in den „sozialen“ Netzwerken verherrlicht, auf die Straße getragen wird.

Ich erhoffe mir von der Gesell­schaft nicht mehr, als dass wir unsere mensch­lichen Werte - und in diesen Tagen sollte man sich in europäischen und deutschen Werten lieber in Vorsicht sonnen - beim Blick aufs Smartphone nicht sofort über Bord werfen. Und ich erhoffe mir vom Staat, dass er hinsieht, wenn die Menschenwürde und die Privat­sphäre von seinen Bürgern und von den Bürgern anderer Länder leidet - ohne dabei zum Überwa­chungsstaat zu werden.

Menschenwürde - das bedeutet für mich in Frieden leben zu können, ein Recht auf Sicherheit der Person und Sicherheit des eigenen Rufs zu haben, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. Doch genau diese Menschenwürde sehe ich derzeit akut gefährdet, da sie im Internet ungeahndet verletzt werden kann und die Beiträge an der öffent­lichen Meinungs­bildung teilhaben. „Gutmenschen“ gegen „besorgte Bürger“. Es herrscht ein Krieg der Meinung.

Auf allen Plattformen wird stets derjenige gehört, der virtuell am lautesten schreit und dem möglichst viele zuhören. Solche Blogger erinnern von Zeit zu Zeit an frühere Propheten. Allein schon durch die Funktion des „Folgens“ wird hier deutlich:

Diesen Menschen wird blind vertraut, ihr Wort ist für die Medien-„Jünger“ Gesetz, nebensächlich woher sie ihre Quellen beziehen und unwichtig, wie stupide oder zweifelhaft ihre Botschaften sind. Hinterfragt man ihre Beiträge, zeigt sich oft, wie verhärtet ihre falschen Ansichten wirklich sind. Als Schüler hätte man sie lernre­sistent genannt. Leider sind sie mittlerweile ihre eigenen Lehrer und finden unmittelbar Gleich­ge­sinnte, die Meinung wird zur Bildung. Die Bildungs­fernen unterrichten die Bildungs­fe­reneren. Köpfe voller nutzloser Information. So ist es nicht verwun­derlich, dass dem seriösen Journa­lismus der Boden unter den Füßen wegrutscht, dass Fehlin­for­ma­tionen sich im Netz wie ein Lauffeuer verbreiten und sofort für bare Münze genommen werden, da durch das Prinzip „liken“ und „followen“ zu schnell Vertrauen aufgebaut wird.

Es gilt: Wer meine Ansicht vertritt, hat Recht - und zwar in letzter Konsequenz, weil niemand gern an sich selbst zweifelt. Wir haben den Zweifel verlernt, um uns sicher zu fühlen.

Ich möchte niemandem mehr folgen. Folgen ist bequem, folgen macht abhängig, folgen ist mitunter gefährlich. Deshalb habe ich für mich entschieden „soziale" Netzwerke zu meiden und beschränke mich auf Nachrich­ten­dienste. Nichts­des­totrotz will ich auch dort Haltung bewahren, meine Meinung äußern und immer aufmerksam und kritisch hinter­fragen, was andere äußern.

Weiterhin finde ich, wir sollten wir die mensch­lichen Umgangs­formen auch in der virtuellen Diskus­si­ons­kultur wahren. Es sollten keine Grenzen überschritten werden, die im echten Leben Geltung haben und im Gesetz verankert sind. Das ist alles, was man im Umgang mit dem Internet beachten sollte: Die Würde des Menschen ist auch hier - im Neuland - unantastbar.

Datum
Aktualisiert am
07.06.2016
Autor
Killian Stenzel
Bewertungen
189
Themen
Internet Verfassung

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