
Lässt sich Leid durch Geld aufwiegen? Diese schwierige Frage steht bei Schmerzensgeld-Prozessen immer wieder im Mittelpunkt. Denn anders als bei einem Kratzer in der Autotür oder einer kaputten Waschmaschine lässt sich der subjektiv empfundene Schaden nicht genau beziffern – der normale Schadensersatz kommt hier also nicht in Frage. Auch von der Opferentschädigung muss man hierzulande das Schmerzensgeld abgrenzen - welche Funktion hat es genau?
Schmerzensgeld beantragen: Was soll es ausgleichen?
Das Gesetz sieht für sogenannte immaterielle Schäden einen Ausgleich vor, und zwar bei „Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung“. Das bedeutet, dass eine Klage auf Schmerzensgeld keineswegs nur bei körperlichen Verletzungen in Frage kommt. Auch andere „Lebensbeeinträchtigungen“ psychischer Natur können ein Schmerzensgeld rechtfertigen. So erstritt ein Arbeitnehmer beispielsweise 3.500 Euro, weil er von seinem Arbeitgeber mit einer Videokamera überwacht wurde. In einem anderen Fall erhielt ein Mann Schmerzensgeld, weil ihm mit Verweis auf seine Hautfarbe der Zutritt zu einer Diskothek verweigert worden war.
Warum ist das Schmerzensgeld in Deutschland so viel niedriger als in den USA?
Die Höhe der in Deutschland zugesprochenen Schmerzensgelder hat sich in den vergangen Jahren verändert. „Früher war das Schmerzensgeld bei schweren Verletzungen häufig deutlich zu gering und bei Banalitäten vergleichsweise hoch. Heute sind die Dimensionen deutlich angemessener“, sagt Rechtsanwalt Professor Dr. Bernd Hirtz vom Deutschen Anwaltverein (DAV). Trotzdem sind die Summen noch immer weit entfernt von den medial nicht immer korrekt dargestellten, spektakulären Schmerzensgeldurteilen aus den USA – zum Beispiel den legendären 2,9 Millionen Dollar, die eine Frau 1994 in New Mexiko zugesprochen bekam, nachdem sie sich einen heißen Kaffee von McDonalds über die Oberschenkel gekippt hatte.
Solche Urteile sind in Deutschland nicht möglich, weil das Schmerzensgeld hierzulande eine grundsätzliche andere Funktion hat. „Anders als in den USA hat das Schmerzensgeld in Deutschland keine strafende Funktion, sondern es soll einen Ausgleich schaffen“, sagt Prof. Hirtz vom DAV.
Schmerzensgeldtabelle: Wie bemisst sich die Höhe?
Allerdings gibt es auch in Deutschland kein klares Berechnungsmodell zur Festsetzung des Schmerzensgeldes – es muss immer vom Gericht individuell festgelegt werden. Die Grundlage dabei bilden sogenannte Schmerzensgeldtabellen. Dabei handelt es sich um Sammlungen von Urteilen zum Schmerzensgeld, die nach Körperteilen oder Verletzungen geordnet sind. Hat man beispielsweise einen Armbruch erlitten, kann man hier nachsehen, wie viel Schmerzensgeld die Gerichte in vergleichbaren Fällen zugesprochen haben.
Allerdings lässt sich fast nie ein Fall 1:1 übertragen. Neben dem Ausmaß der Verletzungen und Lebensbeeinträchtigungen spielen bei der Höhe des Schmerzensgeldes zum Beispiel auch die Vermögensverhältnisse der Beteiligten und der Grad des Verschuldens eine Rolle.
Nicht jede Schmerzensgeldklage hat Erfolg. Immer wieder bestätigen Gerichtsentscheidungen, dass gewisse alltägliche Lebensrisiken einfach zu akzeptieren sind. So scheiterte beispielsweise die Schmerzensgeldklage von Angehörigen einer älteren Dame, die bei einem Saunabesuch einen Schwächeanfall erlitten hatte und in der Folge verstorben war. Auch ein misslungener Haarschnitt alleine rechtfertigt keine Ausgleichszahlung.
Ein Spaziergänger war mit seinem nicht angeleinten Dalmatiner in einem Stadtpark unterwegs. Ein ebenfalls im Park aktiver Jogger fühlte sich von dem, nach seinen Angaben, „angaloppierenden und Zähne fletschenden" Dalmatiner bedroht, und setzte einen sogenannten. Schrillalarm ein, um den Hund abzuwehren. Durch den Schrillalarm wird ein Notsignal mit ca. 110db erzeugt. Der Hund entfernte sich daraufhin.
Der Hundehalter verklagte nach dem Vorfall den Jogger auf die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Er hätte ohne Anlass ein Pfefferspray in Richtung des Hundes gesprüht und den Schrillalarm ausgelöst. Durch den ausgelösten Schrillalarm habe der Kläger, welcher sich in der Nähe seines Hundes aufgehalten habe, ein Lärmtrauma und in der Folge einen Tinnitus erlitten.
Das Amtsgericht wies die Klage ab, da dem Beklagten Fahrlässigkeit (§§ 823 Abs. 1, 276 BGB) bei der Auslösung des Schrillalarms nicht nachgewiesen werden konnte. Das Amtsgericht begründete die Entscheidung damit, dass eine Person die sich mit Hunden nicht auskennt - oder sogar Angst vor Hunden hat - einen Schrillalarm auslösen darf, bei einer Entfernung des Hundes von noch 1 1/2 Meter. Ein Abwarten bis der Hund zubeißt ist nicht erforderlich. In einem öffentlichen Park sei mit Personen zu rechnen, die das Verhalten von Hunden nicht einschätzen können. Über die Frage, ob ein Schrillalarm überhaupt geeignet ist, ein Lärmtrauma und in der Folge einen Tinnitus auszulösen, war daher nicht mehr zu entscheiden (AG Augsburg, 18 C 920/18).
Schadensersatz für verletzten Hund?
Ein Mann hatte sich mit einer hohen Schadensersatzforderung aufgrund eines ungewöhnlichen Vorfalls auseinanderzusetzen:
Der Beklagte besuchte seine Ex-Freundin, um den Geburtstag ihres Hundes, eines Golden Retrievers, zu feiern. Er brachte einen Ball mit und spielte mit dem Hund. Dieser war außer sich vor Freude, brach sich aber nach einem Sprung in die Luft das Hinterbein. Die Ex-Freundin verlangte nun Schadensersatz in Höhe von knapp 18.000 €. Neben den Behandlungskosten verlangte sie entgangenen Gewinn, da der Hund infolge der Verletzungen nicht mehr zuchttauglich sei. Das Landgericht wies die Klage ab. Die Frau ging in Berufung. Doch auch diese hatte auch vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. keinen Erfolg. Der Knochenbruch sei nicht adäquat-kausal auf das Werfen des Balles zurückzuführen.
"Es gehört zum natürlichen Verhalten von - noch dazu jungen - Hunden, dass diese ihrem Spieltrieb nachgeben und hierbei auch springen," begründete das OLG. Grundsätzlich könne davon ausgegangen werden, dass die körperliche Konstitution eines Hundes so ist, dass er derartige tiertypische Handlungen ohne Verletzungen durchführen kann.
Außerdem sei der Eintritt der Verletzung dem allgemeinen Lebensrisiko und damit der Risikosphäre der Klägerin als Halterin zuzuordnen. Die Klägerin habe als Halterin des Hundes die Entscheidung getroffen, den Hund zunächst mit dem Beklagten spielen zu lassen und damit die Entscheidung über seine Selbstgefährdung getroffen.
Wer mit Hilfe eines Anwalts oder einer Anwältin selbst Schmerzensgeld einklagen will, sollte den entstandenen Schaden immer rechtzeitig dokumentieren. „Bei gesundheitlichen Schäden sollte unbedingt ein ärztliches Attest eingeholt werden, dass Art und Umfang der Verletzung dokumentiert“, sagt Rechtsanwalt Hirtz vom DAV.
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- Datum
- Aktualisiert am
- 26.09.2016
- Autor
- pst