Lebenswege

Portrait einer Rechts­an­wältin: Durch die Wand

Nizaqete Bislimi (34) hat einen Lebenslauf, wie er ungewöhnlicher kaum sein könnte. Heute ist sie Rechtsanwältin. © Quelle: Franz Brück, Berlin

Nizaqete Bislimi (34) hat einen Lebenslauf, wie er ungewöhn­licher kaum sein könnte. Die Geschichte einer Frau, die als Romni aus dem Kosovo nach Deutschland kam, jahrelang um ihre Aufent­halts­er­laubnis kämpfen musste und inzwischen als Rechts­an­wältin für das Bleiberecht von Asylbe­werbern kämpft.

Ihr erster Eindruck von Deutschland war eine Nacht voll furchtbarer Angst. Nach mehrtägiger Odyssee in einem Bus auf unbekannter Route war sie hinter einem Schleuser durch Wälder und Felder gestolpert. Die kleine „Niza“, so ihr Rufname, unterwegs in leichten Sandalen, war gerade 14 Jahre alt. Zwei Autos mit fremden Männern warten hinter der Grenze – ihre Familie wird getrennt. „Meine Mutter ist tausend Tode gestorben. Sie dachte, sie sieht uns nie wieder. Das Mädchen neben mir im Auto hat sich in die Hose gemacht.“ Doch am Ende der Fahrt können sich alle wieder in die Arme schließen.

Das war 1993. Nizaqete Bislimi floh mit ihrer Familie aus ihrer Heimat – damals wurden im Kosovo die Schulen geschlossen und ihr Vater bekam keinen Lohn mehr für seine Arbeit. Sie wurde als „Zigeunerin“ beschimpft und mit Stöcken bedroht. 

Ein kakerla­ken­ver­suchtes Flücht­lingsheim als Ausdruck von Gastfreund­schaft?

Nizaqete ist eine Romni, ein Roma-Mädchen, auf das in Deutschland niemand wartet, im Gegenteil. Das Jahr ihrer Ankunft ist das Jahr, in dem in Solingen  schlafende Frauen und Mädchen von Rechts­ra­dikalen ermordet werden, nur weil sie Ausländer sind. Nachdem die Familie in Karlsruhe ihren Asylantrag gestellt hat, wird Niza nur wenige Kilometer von Solingen entfernt auf einem Rheinschiff in Düsseldorf einquartiert, das als Asylbe­werber-Unterkunft dient. „Die Kabinen waren klein und das Schiff war so voll.“ Es folgen erkennungs­dienstliche Maßnahmen und eine Anhörung – die übliche Prozedur für Neuankömmlinge.

Von der ausländerfeindlichen Stimmung im Land bekommt sie zunächst nicht viel mit, auch wenn die nächste Station, ein kakerlakenverseuchtes Flüchtlingsheim in Oberhausen, nicht gerade ein Ausdruck von Gastfreundschaft ist. Sechs Menschen in einem Zimmer – und aus dem Raum gegenüber begaffen erwachsene fremde Männer Niza und ihre Schwestern, sobald die Tür aufgeht. „Das war sehr unangenehm.“ Das nächste Wohnheim wird für viele Jahre ihr Zuhause. Anwohner hatten zuvor versucht, das Erscheinen der Flüchtlinge zu verhindern.
„Den Sachar­beitern im Auslän­deramt waren unsere Schicksale egal“

Es beginnt ein zäher, jahrelanger Kampf gegen die deutsche Auslän­der­bü­ro­kratie. „Die erste Antwort im Auslän­deramt von Oberhausen war immer: ,Nein‘. Den Sachbe­ar­beitern, die für Fälle wie unsere eingesetzt wurden, waren die Schicksale egal, die waren eiskalt.“ Der Asylantrag wird abgelehnt, der Aufenthalt und die Arbeits­er­laubnis werden versagt, die Familie wird lediglich geduldet, immer nur für ein paar Monate. Die Bislimis leben in ständiger Angst, dass es nachts klingelt und im Morgen­grauen die Abschiebung beginnt. „Das war jeden Abend das Thema in unserer Familie. Diese Angst, nachts abgeholt zu werden, hat meine Jugend geprägt.“ Soviel Ablehnung schafft Apathie und Depression – normalerweise. „Diese Unsicherheit zerrt an den Nerven. Vielen raubt das die Kraft, das kann man ihnen nicht verübeln. Die Menschen brauchen eine Perspektive, sonst resignieren sie.“ Bei der kleinen Niza ist es umgekehrt. Der Fall „Bislimi gegen die Bundes­re­publik“ hat gerade erst begonnen.

Nach nur fünf Jahren macht Niza ihr Abitur – Notendurch­schnitt: 2,1

„Ich hatte auch viel Glück. Da war dieses Ehepaar, das wir auf einem Begrüßungsfest der evange­lischen Kirchen­ge­meinde in Oberhausen kennen­gelernt haben und das sich jahrelang um uns gekümmert hat. Die haben mich immer wieder aufgebaut.“ Das engagierte Paar, eine Lehrerin und ein Awo-Mitarbeiter, hilft bei

der Arbeits­er­laubnis und vermittelt Ausbil­dungs­plätze; erklärt die Bescheide der Behörden. Niza büffelt ein Jahr lang nur Deutsch und in nur fünf Jahren nach ihrer Ankunft macht sie 1998 ihr Abitur – Notendurch­schnitt 2,1.

Sie beginnt ein Jura-Studium in Bochum – die Kanzlei, die Anwälte, die die Familie seit Jahren betreuen, haben ihren Berufs­wunsch geweckt. „Ich wollte raus aus dieser Ohnmacht und mit den Sachbe­ar­beitern in den Ämtern endlich auf Augenhöhe sein.“ Doch an ihrer rechtlichen Situation ändert sich nichts, das Damokles­schwert der Duldung baumelt immer noch über ihr, Annehm­lich­keiten wie Bafög bleiben ihr versagt. Sie jobbt für ihr Studium und muss auch sonst manchen Tiefschlag verkraften: „Während meine Kommilitonen sich auf ihre Examen konzen­trieren konnten, musste ich meine Eltern vor der Abschiebung retten.“

Das erste Semester Jura ist für die Studentin Bislimi ein Tiefpunkt. „Diese ganze Rechts­sprache – es war unglaublich hart.“ Sie macht weiter: „Sollte ich warten, bis ich abgeschoben werde?“ Nach dem ersten Staats­examen wird sie sogar zum Präzedenzfall. Darf eine Geduldete als Referendarin in den Staats­dienst? „Der halbe Vorstand der Bundes­agentur für Arbeit hat sich damit befasst.“ Sie nimmt auch

diese bürokra­tische Hürde – und darf mit Sonder­er­laubnis. „Die im Auslän­deramt haben längst gestöhnt, wenn sie meinen Namen gehört haben.“

Während sie Strafen für kleine Dieb beantragt, muss sie selbst als Illegale vor Gericht um ihren Aufenthalt kämpfen

Anwalt Eberhard Haberkern verfolgt Bislimis Schicksal seit rund 20 Jahren. Er hat die Familie von Anfang an vertreten. Nun ist Nizaqete seine Kollegin im Büro nebenan in der Kanzlei in Essen. „Es ist schon sehr bemerkenswert, das Recht  eines Staates studieren zu wollen, der einen als unerwünscht betrachtet. Es war hart für sie und zeugt von sehr starkem Willen“, sagt Haberkern. „Sie hat als Referendarin die Staats­anwalts-Robe getragen und musste Strafen für kleine Diebe beantragen, während sie selbst eine Illegale war und wir vor Gericht um ihren Aufenthalt kämpfen mussten.“ Trotz ihrer außerge­wöhn­lichen Integra­ti­ons­leis­tungen erlebt sie das Verhalten der Behörden als schikanös: „Man  hat mir das Aufent­haltsrecht angeboten, wenn ich dafür meine Eltern und Brüder dazu bewege, das Land zu verlassen und in den Kosovo zurück­zu­kehren.“

Dann endlich der Erfolg: Dem zuständigen Verwal­tungs­gericht wird es zu bunt. Es empfiehlt dem Auslän­deramt dringend, Familie Bislimi den Aufenthalt in der Bundes­re­publik zu gewähren. So kommt es dann auch. Jahre später kann die Rechts­an­wältin einen weiteren stillen Sieg genießen: „Nach einer Fachtagung kam der Chef des Oberhausener Auslän­deramtes auf mich zu und hat sich bei mir entschuldigt“, sagt Bislimi. Wie die Behörde sich in ihrem Fall verhalten habe, sei nicht in Ordnung gewesen. „Das hat mir sehr viel bedeutet. Es wird so viel Potenzial, Kraft und Energie durch diesen Umgang mit den Menschen vergeudet.“

Inzwischen hat die gesamte Familie einen sicheren Aufenthalt

Inzwischen genießt die gesamte Familie einen sicheren Aufenthalt, alle vier Geschwister stehen im Berufsleben. Und Nizaqete Bislimi? Hat den Kampf um Asyl, Aufenthalt, Anerkennung und Arbeits­er­laubnis zu ihrem Beruf gemacht, in der Kanzlei in der Essener City, die bereits ihren Fall betreut hat. Die Kanzlei ist seit 30 Jahren in diesem Geschäft. Bislimi hat dort schon als studen­tische Hilfskraft gearbeitet.

Ihre Herkunft als Roma verschweigt sie nicht mehr. Nach ihrem TV-Auftritt in der ARD-Talkshow von Sandra Maisch­berger bekam sie Drohungen. Das Thema damals: „Feindbild Sinti und Roma“. „Die Briefe habe ich geschreddert.“ Die Bleibe­rechts­regeln hätten sich nicht zuletzt dank EU-Rechts verbessert, aber die auslän­der­feindliche Gesinnung ist längst nicht verschwunden.

Nun kann sie einem Verwal­tungs­richter als Anwältin aus eigener Erfahrung schildern, dass seine Vorstellung einer illegalen Einreise mit freundlich grüßendem Grenzbeamten vor dem Wappen­schild der Bundes­re­publik realitätsfern ist – und dass die Aussage ihres Mandanten, den Einreiseweg nicht zu kennen, keineswegs unglaub­würdig sei, sondern den Regelfall darstellen dürfte. „Das Auslän­derrecht war als Anwältin für mich vorgezeichnet. Es ist ein Riesen­vorteil, wenn man selbst so eine Geschichte hat.“ Sie muss viel psycho­lo­gische Arbeit leisten, die Mandanten aufbauen, wenn sie mal wieder gegen eine bürokra­tische Wand gelaufen sind. „Aber den Leuten mitzuteilen, dass sie sich jetzt endlich eine Arbeit suchen dürfen, das rettet nicht nur ihnen den Tag.“

Quelle: Anwaltsblatt Karriere (02/2013, S. 50-54)

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