Die Fälle scheinen unzählig und noch öfter von einer unkritischen Öffentlichkeit durchdekliniert: Der Mann einer verstorbenen Raucherin geht deren Glimmstängel-Fabrikanten vor Gericht an. Das Unternehmen habe nicht ausreichend über die Gefahren des Rauchens aufgeklärt. Die Richter geben ihm Recht. Eine Frau stürzt betrunken aus dem Toilettenfenster einer Diskothek und klagt anschließend auf Schmerzensgeld. Erfolgreich. Die Frau, die ihre Katze zum Trocknen in eine Mikrowelle gesteckt und danach den Hersteller verklagt haben soll, hat es hingegen nie gegeben.
Letzterer Fall ist eine urbane Legende – gleichsam wohl aber auch eine Kuriosität, an der sich gut beschreiben lässt, welches Bild die Deutschen bis heute von der Rechtsprechung in den USA haben.
2,86 Millionen US-Dollar für einen verschütteten Kaffee
Losgetreten wurde die Annahme von Amerika als dem Land der überzogenen Forderungen vom Fall der Stella Liebeck. Jener Frau, die sich vor zwei Dekaden an einem McDonalds-Kaffee verbrühte und im anschließenden Prozess gegen die Fastfood-Kette eine Millionensumme Schadenersatz eingestrichen haben soll.
Tatsächlich reicht Liebecks Fall weiter, als er in der Regel dargestellt wurde. Ja, der US-Staatsbürgerin hatte die Jury eines US-Gerichts tatsächlich zunächst 2,86 Millionen US-Dollar zugesprochen. Und nein, der Fall taugt trotzdem nicht als Aushängeschild für ein Land, in dem scheinbar ein Vermögen für jedermann über den Klageweg zu erstreiten ist.
Deutscher Schadenersatz ist mit dem Regress-System der USA nicht zu vergleichen
Erstens: Die Millionen wurden Liebeck nie ausgezahlt. Der zuständige Richter kürzte den Betrag auf 640 000 US-Dollar.
Diese Summe ist unterdessen nicht mit dem deutschen Schadenersatz zu vergleichen. Sie setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:
- 160 000 Euro für „compensatory damages“. Das amerikanische System fasst in diesem Rechtsinstitut die deutschen Äquivalente Schadenersatz und Schmerzensgeld zusammen, die hierzulande wirtschaftliche oder immaterielle Schäden ausgleichen sollen.
- Die übrigen 480 000 Euro wurden Stella Liebeck hingegen für „punitive damages“ zugesprochen. Dahinter verbirgt sich im amerikanischen Recht ein Institut, das es so hierzulande nicht gibt. Ein Strafschadenersatz: Der oder die Beklagte soll in Zukunft davon abgehalten werden, weiteren Schaden zu verursachen. Die Strafe wird über den Schaden des Einzelfalls hinaus bemessen. Die Kläger, wie Liebeck gegen McDonalds, sind letztlich nur glückliche Nutznießer der Strafzahlung, mit dem Geld werden ihnen keine weiteren Nachteile ausgegolten.
Zweitens: Liebecks Kaffee-Unfall war weitaus gravierender als mitunter berichtet. Das heiße Getränk verursachte Verbrennungen dritten Grades auf den Oberschenkeln der Amerikanerin, nachdem die sich daran verbrüht und den dann immer noch sehr heißen Kaffee auf ihren Schoß gespuckt hatte. 10 000 Euro Behandlungskosten sollen in der Folge zusammen gekommen sein, 2 Jahre Therapie und mehrere Hauttransplantation sich angeschlossen haben.
Drittens: Die Rentnerin war nicht die erste, die sich mit McDonalds anlegte. Ihr zuvor hatte es bereits etliche Anläufe gegeben, die Fastfood-Kette für den heißen Kaffee in Regress zu nehmen. Berichten der New York Times zufolge sollen sich zwischen 1983 und 1992 und vor Liebecks Unfall 700 Amerikaner von Rechtsanwälten vertreten haben lassen, nachdem die sich am McDonalds-Kaffee verbrüht hatten.
Viertens: Stella Liebeck hatte es unterdessen nicht unmittelbar auf eine Klage gegen den Konzern abgesehen. Sie appellierte zunächst an die Unternehmensspitze, McDonalds möge die Behandlungskosten übernehmen und generell die Temperatur des verkauften Kaffees senken. In einer ersten Reaktion bot die Fastfood-Kette Liebeck darauf 800 US-Dollar Entschädigung an. Auch mit zwei weiteren Versuchen, einen Vergleich zu erwirken, stieß die Amerikanerin bei McDonalds auf taube Ohren.
Warum sind die Schadenersatzsummen in Deutschland so viel niedriger als in den USA?
An vermeintlich kuriosen Urteilen mangelt es in Deutschland unterdessen ebenso wie in den USA nicht. Allerdings bewegen sich die deutschen Fälle tatsächlich in anderen Regress-Dimensionen: So verurteilte das Amtsgericht Gelsenkirchen einen Kneipengast zum Beispiel auf 400 Euro Schmerzensgeld, nachdem er einer Kellnerin 2005 in den Zeh gebissen hatte. 1700 Euro Schmerzensgeld sprachen die Richter des Oberlandesgerichts Hamm einem 64-Jährigen zu, der die Stadt Büren wegen eines Knalltraumas verklagt hatte, nachdem die eine Gebirgsschützenkompanie geladen hatte.
Urteile wie das der Stella Liebeck sind in Deutschland indes aber nicht möglich, weil das Schmerzensgeld hierzulande grundsätzliche eine andere Funktion hat als das in den USA. „Anders als in den Staaten hat das Schmerzensgeld in Deutschland keine strafende Funktion“, sagt Bernd Hirtz. Der Rechtsanwalt ist Mitglied im Deutschen Anwaltverein (DAV). Es solle vielmehr einen Ausgleich schaffen.
Unterdessen hat sich die Höhe der in Deutschland zugesprochenen Schmerzensgelder in den vergangen Jahren verändert. „Früher war das Schmerzensgeld bei schweren Verletzungen häufig deutlich zu gering und bei Banalitäten vergleichsweise hoch. Heute sind die Dimensionen deutlich angemessener“, so Hirtz. Trotzdem seien die Summen noch immer weit entfernt von den medial nicht immer korrekt dargestellten, spektakulären Schmerzensgeldurteilen aus den USA – wie dem des Kaffee-Unglücks der Stella Liebeck.
- Datum
- Aktualisiert am
- 06.05.2015
- Autor
- kgl