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Prostitution am Pranger

Die Wahrheit liegt irgendwo im Dreck

Diskussion um das Prostitutionsgesetz: Branche wird weiterhin kritisch betrachtet. © Quelle: Worldpics/ panthermedia.net

Zwang haftet der Prosti­tution als ewiges Stigma an. 1927 vom Verbot entfesselt, stehen den Frauen seit 2002 und dem Prosti­tu­ti­ons­gesetz auch Rechte zu: Sie dürfen sich wehren. Zumindest gegen ihre Freier oder Zuhälter. Gegen die Skandal­vorliebe der Öffent­lichkeit kommen sie eh nicht an. Von Zweien, die auszogen, von ihrer Begierde zu leben.

Es gibt Frauen, die bereiten ihrem Umfeld Unbehagen: Weil sie Räume in Beschlag nehmen, zu denen sich öffentlich kaum jemand bekennen noch daran die Finger verbrennen mag; an deren Auftreten sich eine Ketten­re­aktion an Phantasien und Schreckens­ge­spenstern entfesselt – und sich dann irgendwo im gesell­schaft­lichen Nirgendwo ergießt. Karolina Leppert ist eine von ihnen. Ein Faszinosum im kurzen Latexkleid. Eine Frau, die mit 50 Jahren aus engen, bürger­lichen Verhält­nissen ausgebrochen ist, um sich in der Prosti­tution zu emanzi­pieren. Sie funktioniert in den Medien immer da gut, wo man sie für die Quote instru­men­ta­li­sieren kann. Als Domina wird sie viel besprochen – als Frauen­rechtlerin selten gehört.

An diesem Oktobertag eilt sie unermüdlich von einem Restaurant zum nächsten auf der Suche nach Diskretion. Im ersten Lokal im Berliner Nikolai­viertel dünsten ihr zu viele Touristen über Fleisch­bergen. Im zweiten Café an der Jannowitz­brücke sind alle Rückzugsräume für eine Seniorenrunde reserviert. Letztlich findet sich dann doch noch eine in dunkles Holz gekleidete Gaststätten-Nische, in der sie darüber sprechen will, was seit 2002 passiert ist. Was sich getan hat, seitdem das sogenannte Prosti­tu­ti­ons­gesetz in Deutschland in Kraft getreten ist.

„Das Gesetz ist ein kleiner Schritt in eine bessere Zukunft"

„Wirkliche Toleranz beginnt dort, wo man nicht versteht, wie andere leben und es dennoch akzeptiert“, ist eine der Parolen, die Leppert in die Stille zwischen zwei Fragen schmeißt, während sich ihr Gegenüber eilig die voraus­ge­gangene Antwort notiert. So laut sie mit solchen Aussagen um Aufmerk­samkeit buhlt, so nüchtern fällt ihre Bilanz zum Prosti­tu­ti­ons­gesetz aus: „Das Gesetz ist ein kleiner Schritt in eine bessere Zukunft – heute fühlen sich Prosti­tuierte ihren Kunden gegenüber nicht mehr rechtlos. Vor 2002 hatten sie keine Grundlage, ihre Gage einzufordern. Heute könnten sie sogar einen Anwalt bemühen.“

„Was ich mir wünschen würde, ist, dass man nicht gegen die Prosti­tution als solche ist“, marschiert Leppert weiter durch das Gespräch und leitet zu Hydra über. Dem Verein, in dessen Berliner Vorstand sie sich für die Belange von Prosti­tu­ierten einsetzt. Sie wünsche sich, dass sich der öffentliche Argwohn eher gegen die Umstände formiere, unter denen Frauen arbeiten müssten.

„Werbung ist ja auch anrüchig“

Ortswechsel: „Ich habe mich schon immer verweigert“, kokettiert Carlos Obers in seinem Zuhause in der Nähe des Potsdamer Platzes. Seine Wohnung sieht nicht nach Ausstieg aus, eher nach Loft für schmales Geld. Ein Oberlicht durchflutet den Raum und bricht an einer meterlangen Bücherwand. Anstelle eines separaten Schlaf­zimmers hat Obers ein Beklei­dungs­zimmer. Gegenüber steht ein Studen­ten­wohnheim, die Straße runter schließt ein Discounter mit der Abenddäm­merung bald seine begrenzten Einkaufs­welten.

Karl-Dietrich Obers – unter diesem Namen wurde Carlos in Buenos Aires geboren – hat bessere Tage gesehen: Er studierte Malerei und Grafik an der renommierten Städel­schule in Frankfurt am Main, küsste unter Andalusiens heißer Sonne Flamenco-Tänzerinnen und landete als Querein­steiger in der Werbung, war Texter und das besonders gut – 40 Jahre lang. Dann löste er seine Lebens­ver­si­cherung auf und beschloss im Kaufhaus des Westens Austern essend eine Agentur für Escorts zu gründen. „Werbung ist ja auch anrüchig“, sagt Obers und schickt seiner Anekdote ein schallendes Lachen hinterher – wie allen anderen zuvor auch schon und denen, die noch folgen.

Così fan tutte – Sie treiben es alle: vom Freier zur Geschäftsidee

„Ich habe nie Frauen getroffen, die unabhängiger und freier waren“, stimmt Obers eine Arie über Prosti­tuierte an. Rund hundert habe er sich für gemeinsame Stunden ausgesucht, überwiegend nach engen Kriterien – nur einmal sei er in einem Laufhaus gewesen: Carina, pechschwarzes Pferdehaar bis zum Popo; Eliana, voller Leben und wild gestiku­lierend, kleidet er seine Gespie­linnen in Imagination – „Irgendwann habe ich mir gesagt, in die verliebe ich mich und ging nicht mehr hin“, schließt Obers ab.

Der pensio­nierte Werber hat es nicht verlernt: Seine Frauen weiß er mit Worten ins beste Licht zu rücken. An seine Agentur hat er hohe Maßstäbe geknüpft. Seine Frauen heißen „Musen“, erzählt Obers. Sie haben an der New York City Opera gesungen oder tragen Doktortitel. Ihre Kunden seien zumeist Traummänner und im Topmanagement unterwegs. Für vier Stunden Abendprogramm – Intimitäten inklusive – verdienen die Frauen 1000 Euro. 300 Euro davon landen bei Obers. Er investiere einen Großteil seiner Vermitt­lungs­pro­vision zurück in die Agentur, sagt er: „Sie sehen ja hier keinen Rolls Royce oder so?!“

Nein, in seiner Wohnung lehnt nur ein Fahrrad am Treppen­ge­länder zur Empore, auf der sein Bett steht. Nach all den schillernden Geschichten aus dem Privatleben des Carlos Obers und den vielen wohlig warmen Worten über seine Musen, sitzt Obers hier dann doch aber nur als Geschäftsmann, nicht als Wohltäter. Einer, der es nochmal wissen will und sich an den Strohhalm Prosti­tution klammert. Seine „Musen“ sollen nur den Startschuss für ein Franchise-Modell begründen. Aus der einzelnen Agentur soll eine Kette wachsen: „Die schwerste Aufgabe ist immer, einen Namen für das Produkt zu finden“, wird er ernst.

"Es ist einfach dumm, das Rad wieder zurück­drehen zu wollen"

Das Gespräch mit Karolina Leppert liegt in seinen letzten Zügen. In einem Taschen­spiegel kontrolliert sie ihr Make-Up. Der Lidstrich setzt immer noch exakt auf ihrem Wimpernkranz auf, den Lippenstift zieht sie nach. Als sie aufsteht, klimpert ihr perlen­be­reiftes Armband. „Wissen Sie, man möchte uns gerne als Opfer sehen“, sagt sie und verharrt einen Moment. Zweifelsohne sei für viele Frauen der Verdienst ein treibender Motor sich zu prosti­tuieren. Aber das dürfe man nicht immer als Not definieren. „Die Medien und die Politik stürzen sich gerne auf den Dreck“, holt Leppert aus: „Aber die Dinge sind oft auch so, um am guten Leben teilzu­nehmen.“

Carlos Obers würde gerne den Ratten­schwanz hinter dem Thema Prosti­tution abschneiden. Billig findet er prekär und räumt ein: „Wir sind nicht repräsentativ für die Branche.“ Als Vorstands­mitglied bei Hydra kennt Karolina Leppert auch die Kehrseite der hochglän­zenden Edelhuren-Medaille. Zu ihr kommen Frauen, denen das Jugendamt die Kinder wegnehmen will oder die aus der Prosti­tution aussteigen wollen. Es helfe aber keiner Frau, wenn im Zusammenhang mit der Branche immer das Attribut Zwang bemüht werde. All die Verweise auf kriminelle Machen­schaften seien „nur ein Rumstochern in der Zahlen­da­tenbank“ und sehr vage.

„Es ist einfach dumm, das Rad wieder zurück­drehen zu wollen“, kommentiert Leppert das Ansinnen einiger politischer Lager, das Prosti­tu­ti­ons­gesetz doch noch zu kippen und Freier strafrechtlich verfolgen zu wollen. In Ländern wie Schweden könne man gut sehen, wie sich die Verhältnisse mit einem Verbot verkehrten: „Schweden ist eine Katastrophe. Den Frauen dort geht es viel schlechter als hier. Die können sich keine Wohnung anmieten und landen deshalb in der Abhängigkeit.“ Prosti­tution, beendet Leppert das Gespräch, sei eine Begleit­erscheinung der Zivili­sation: „Wir haben schon ganz andere Zeiten überlebt.“

Datum
Aktualisiert am
27.06.2014
Autor
kgl
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Themen
Gewerbe Prosti­tution

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