Es gibt Frauen, die bereiten ihrem Umfeld Unbehagen: Weil sie Räume in Beschlag nehmen, zu denen sich öffentlich kaum jemand bekennen noch daran die Finger verbrennen mag; an deren Auftreten sich eine Kettenreaktion an Phantasien und Schreckensgespenstern entfesselt – und sich dann irgendwo im gesellschaftlichen Nirgendwo ergießt. Karolina Leppert ist eine von ihnen. Ein Faszinosum im kurzen Latexkleid. Eine Frau, die mit 50 Jahren aus engen, bürgerlichen Verhältnissen ausgebrochen ist, um sich in der Prostitution zu emanzipieren. Sie funktioniert in den Medien immer da gut, wo man sie für die Quote instrumentalisieren kann. Als Domina wird sie viel besprochen – als Frauenrechtlerin selten gehört.
An diesem Oktobertag eilt sie unermüdlich von einem Restaurant zum nächsten auf der Suche nach Diskretion. Im ersten Lokal im Berliner Nikolaiviertel dünsten ihr zu viele Touristen über Fleischbergen. Im zweiten Café an der Jannowitzbrücke sind alle Rückzugsräume für eine Seniorenrunde reserviert. Letztlich findet sich dann doch noch eine in dunkles Holz gekleidete Gaststätten-Nische, in der sie darüber sprechen will, was seit 2002 passiert ist. Was sich getan hat, seitdem das sogenannte Prostitutionsgesetz in Deutschland in Kraft getreten ist.
„Das Gesetz ist ein kleiner Schritt in eine bessere Zukunft"
„Wirkliche Toleranz beginnt dort, wo man nicht versteht, wie andere leben und es dennoch akzeptiert“, ist eine der Parolen, die Leppert in die Stille zwischen zwei Fragen schmeißt, während sich ihr Gegenüber eilig die vorausgegangene Antwort notiert. So laut sie mit solchen Aussagen um Aufmerksamkeit buhlt, so nüchtern fällt ihre Bilanz zum Prostitutionsgesetz aus: „Das Gesetz ist ein kleiner Schritt in eine bessere Zukunft – heute fühlen sich Prostituierte ihren Kunden gegenüber nicht mehr rechtlos. Vor 2002 hatten sie keine Grundlage, ihre Gage einzufordern. Heute könnten sie sogar einen Anwalt bemühen.“
„Was ich mir wünschen würde, ist, dass man nicht gegen die Prostitution als solche ist“, marschiert Leppert weiter durch das Gespräch und leitet zu Hydra über. Dem Verein, in dessen Berliner Vorstand sie sich für die Belange von Prostituierten einsetzt. Sie wünsche sich, dass sich der öffentliche Argwohn eher gegen die Umstände formiere, unter denen Frauen arbeiten müssten.
„Werbung ist ja auch anrüchig“
Ortswechsel: „Ich habe mich schon immer verweigert“, kokettiert Carlos Obers in seinem Zuhause in der Nähe des Potsdamer Platzes. Seine Wohnung sieht nicht nach Ausstieg aus, eher nach Loft für schmales Geld. Ein Oberlicht durchflutet den Raum und bricht an einer meterlangen Bücherwand. Anstelle eines separaten Schlafzimmers hat Obers ein Bekleidungszimmer. Gegenüber steht ein Studentenwohnheim, die Straße runter schließt ein Discounter mit der Abenddämmerung bald seine begrenzten Einkaufswelten.
Karl-Dietrich Obers – unter diesem Namen wurde Carlos in Buenos Aires geboren – hat bessere Tage gesehen: Er studierte Malerei und Grafik an der renommierten Städelschule in Frankfurt am Main, küsste unter Andalusiens heißer Sonne Flamenco-Tänzerinnen und landete als Quereinsteiger in der Werbung, war Texter und das besonders gut – 40 Jahre lang. Dann löste er seine Lebensversicherung auf und beschloss im Kaufhaus des Westens Austern essend eine Agentur für Escorts zu gründen. „Werbung ist ja auch anrüchig“, sagt Obers und schickt seiner Anekdote ein schallendes Lachen hinterher – wie allen anderen zuvor auch schon und denen, die noch folgen.
Così fan tutte – Sie treiben es alle: vom Freier zur Geschäftsidee
„Ich habe nie Frauen getroffen, die unabhängiger und freier waren“, stimmt Obers eine Arie über Prostituierte an. Rund hundert habe er sich für gemeinsame Stunden ausgesucht, überwiegend nach engen Kriterien – nur einmal sei er in einem Laufhaus gewesen: Carina, pechschwarzes Pferdehaar bis zum Popo; Eliana, voller Leben und wild gestikulierend, kleidet er seine Gespielinnen in Imagination – „Irgendwann habe ich mir gesagt, in die verliebe ich mich und ging nicht mehr hin“, schließt Obers ab.
Der pensionierte Werber hat es nicht verlernt: Seine Frauen weiß er mit Worten ins beste Licht zu rücken. An seine Agentur hat er hohe Maßstäbe geknüpft. Seine Frauen heißen „Musen“, erzählt Obers. Sie haben an der New York City Opera gesungen oder tragen Doktortitel. Ihre Kunden seien zumeist Traummänner und im Topmanagement unterwegs. Für vier Stunden Abendprogramm – Intimitäten inklusive – verdienen die Frauen 1000 Euro. 300 Euro davon landen bei Obers. Er investiere einen Großteil seiner Vermittlungsprovision zurück in die Agentur, sagt er: „Sie sehen ja hier keinen Rolls Royce oder so?!“
Nein, in seiner Wohnung lehnt nur ein Fahrrad am Treppengeländer zur Empore, auf der sein Bett steht. Nach all den schillernden Geschichten aus dem Privatleben des Carlos Obers und den vielen wohlig warmen Worten über seine Musen, sitzt Obers hier dann doch aber nur als Geschäftsmann, nicht als Wohltäter. Einer, der es nochmal wissen will und sich an den Strohhalm Prostitution klammert. Seine „Musen“ sollen nur den Startschuss für ein Franchise-Modell begründen. Aus der einzelnen Agentur soll eine Kette wachsen: „Die schwerste Aufgabe ist immer, einen Namen für das Produkt zu finden“, wird er ernst.
"Es ist einfach dumm, das Rad wieder zurückdrehen zu wollen"
Das Gespräch mit Karolina Leppert liegt in seinen letzten Zügen. In einem Taschenspiegel kontrolliert sie ihr Make-Up. Der Lidstrich setzt immer noch exakt auf ihrem Wimpernkranz auf, den Lippenstift zieht sie nach. Als sie aufsteht, klimpert ihr perlenbereiftes Armband. „Wissen Sie, man möchte uns gerne als Opfer sehen“, sagt sie und verharrt einen Moment. Zweifelsohne sei für viele Frauen der Verdienst ein treibender Motor sich zu prostituieren. Aber das dürfe man nicht immer als Not definieren. „Die Medien und die Politik stürzen sich gerne auf den Dreck“, holt Leppert aus: „Aber die Dinge sind oft auch so, um am guten Leben teilzunehmen.“
Carlos Obers würde gerne den Rattenschwanz hinter dem Thema Prostitution abschneiden. Billig findet er prekär und räumt ein: „Wir sind nicht repräsentativ für die Branche.“ Als Vorstandsmitglied bei Hydra kennt Karolina Leppert auch die Kehrseite der hochglänzenden Edelhuren-Medaille. Zu ihr kommen Frauen, denen das Jugendamt die Kinder wegnehmen will oder die aus der Prostitution aussteigen wollen. Es helfe aber keiner Frau, wenn im Zusammenhang mit der Branche immer das Attribut Zwang bemüht werde. All die Verweise auf kriminelle Machenschaften seien „nur ein Rumstochern in der Zahlendatenbank“ und sehr vage.
„Es ist einfach dumm, das Rad wieder zurückdrehen zu wollen“, kommentiert Leppert das Ansinnen einiger politischer Lager, das Prostitutionsgesetz doch noch zu kippen und Freier strafrechtlich verfolgen zu wollen. In Ländern wie Schweden könne man gut sehen, wie sich die Verhältnisse mit einem Verbot verkehrten: „Schweden ist eine Katastrophe. Den Frauen dort geht es viel schlechter als hier. Die können sich keine Wohnung anmieten und landen deshalb in der Abhängigkeit.“ Prostitution, beendet Leppert das Gespräch, sei eine Begleiterscheinung der Zivilisation: „Wir haben schon ganz andere Zeiten überlebt.“
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.06.2014
- Autor
- kgl