800 Zuschauer haben sich an diesem Sonntagmittag in das Sportforum Hohenschönhausen verirrt. Der BFC Dynamo spielt gegen Altlüdersdorf. Oberliga Nordost, fünfte Spielklasse.
Das Sportforum ist ein Stadion aus einer anderen Zeit. Das Bier wird noch bar bezahlt. Wenn ein Tor fällt, greift der Platzwart zu Pappkärtchen und ändert den Spielstand an der verwitterten Anzeigetafel per Hand. Auf der Tribüne steht ein Mann mit dunklem Haar, Jeans und Sneaker.
René Lau ist Fußballfan, seit er zum ersten Mal mit sieben Jahren und an der Hand seines Großvaters das Sportforum betreten hat. Im Oktober 1972 war das, Dynamo gewann 3:0 und zog in die 3. Runde der Europa League ein. Seither ist Lau Fan.
Somit ist es nur konsequent, dass er sich auch beruflich mit seinem Lieblingssport beschäftigt: René Lau ist Anwalt und vertritt Fußballfans, die beispielsweise nach Besuchen von Fußballspielen mit Geldstrafen oder – für jeden eingefleischten Fan viel schlimmer – mit Stadionverboten belegt werden. Und er ist Teil der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte, gegründet vor zweieinhalb Jahren und aktuell in Mannschaftsstärke im gesamten Bundesgebiet verteilt: elf Anwältinnen und Anwälte, von Lörrach bis Rostock, von Berlin bis Köln.
Immer wieder kommt es in Fußballstadien zu Gewalt
„Der Fußballfan wird in der Öffentlichkeit oft als ein randalierendes Etwas dargestellt, das er nicht ist“, sagt René Lau und erklärt damit auch die Motivation zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft. Dem „einseitigen Bild des Fans als Sicherheitsrisiko“ solle entgegengewirkt werden, heißt es auf der eigenen Homepage. Seit einigen Jahren kommt es in unschöner Regelmäßigkeit immer wieder zu bildgewaltigen und somit auch fernsehtauglichen Ausschreitungen unter Fangruppierungen oder gegen die Polizei. Auch Teile der Fans von René Laus Lieblingsmannschaften gelten als gewaltbereit. Eine Auswahl:
- März 2010, Hertha BSC" target="_blank">Hannover 96 – Dynamo Dresden, Hannover. 18 Anhänger der Dresdner werden am Rande des DFB-Pokalspiels in Gewahrsam genommen, zwei verhaftet. Nur ein Großaufgebot der Polizei kann nach eigenen Angaben schwere Krawalle verhindern. Dresden wird daraufhin für die Folgesaison aus dem Pokalwettbewerb ausgeschlossen.
- August 2013, Schalke 04 – Paok Saloniki, Gelsenkirchen. In der zweiten Halbzeit stürmt eine Hundertschaft Polizisten den Schalke-Block. Dort soll eine mazedonische Flagge gezeigt worden sein, die Fans des griechischen Gegners provozieren sollte. Es habe sich um „volksverhetzende Tatbestände“ gehandelt, so die Polizei später.
Die Arbeitsgemeinschaft Fananwälte war über diesen letzten Polizeieinsatz und die nachträgliche Rechtfertigung „besorgt“ und forderte in einem offenen Brief an den nordrheinwestfälischen Innenminister Ralf Jäger, dass eine unabhängige Ermittlungskommission das „individuelle Fehlverhalten einzelner Polizeibeamter“ untersuchen solle. Unabhängig von diesem konkreten Vorfall fordert die Arbeitsgemeinschaft unter anderem mehr Dialogbereitschaft von Vereins- und Verbandsseite mit den Fangruppierungen.
Die Liga und die Vereine sehen Handlungsbedarf
Fananwalt Lau hält das Vorgehen gegen die Fanszene für unangemessen. „Die Gewalt vor 20, 30, 40 Jahren war schlimmer als sie heute ist.“ Das habe zum einen mit den besseren Stadien zu tun, zum anderen aber auch mit der besseren Gesellschaftskultur: „Heute ist es schick mit einem Prosecco in der VIP-Lounge zu sitzen“, so Lau. Nur habe der Fußball inzwischen eine viel größere mediale Aufmerksamkeit – und damit auch die negativen Vorfälle.
Der Deutsche Fußballbund (DFB) teilt diese Einschätzung offenkundig nicht und sieht durchaus Handlungsbedarf. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat vor der Saison angekündigt, in der nun laufenden Spielzeit eine „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber gewaltbereiten Fans verfolgen zu wollen. Auf einem „Sicherheitsgipfel“ beschloss der DFB zudem kürzlich gemeinsam mit der Deutschen Fußball Liga und 53 von 54 Profivereinen verschärfte Sanktionen gegen gewaltbereite Fans.
Immer neue Mandanten melden sich
Eine ehrliche und intensive Debatte zwischen Fanvertretern, der Liga und der Politik stehe seit Jahren aus. Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte mache sich aber in jedem Fall bezahlt, sagt René Lau. „Ich vertrete eine Vielzahl von Fussballfans unterschiedlichster Vereine und es kommen jede Woche neue dazu." Das zeige, dass die Probleme der Fußballfans in rechtlichen Belangen immer weiter steigen würde – ob diese nun berechtigt seien oder nich, so Lau.
An diesem für die Jahreszeit ungewohnt milden Sonntagnachmittag gab es keine Auseinandersetzungen auf den Rängen. Im Sportforum Hohenschönhausen hatte Herr Lau dennoch gut zu tun. Mit Jubeln. An der alten Anzeigetafel hängen am Ende zwei schiefe Ziffern: unter „Heim“ eine 4, unter „Auswärts“ eine 0.
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.05.2014
- Autor
- ndm/pst