Seit einiger Zeit diskutiert die Europäische Union, ob sie die Türkei zum „sicheren Herkunftsstaat“ erklären soll. Für Menschen, die von dort flüchten müssen, würde dies bedeuten: Sie hätten kaum Chancen, in Deutschland Asyl zu erhalten und damit hier zu bleiben.
Denn hinter den „sicheren Herkunftsstaaten“ steht die Idee, dass es in diesen Ländern in der Regel keine „asylrelevante Verfolgung“ von Menschen gibt, dass die Menschen dort also beispielsweise politisch nicht verfolgt werden und relativ sicher leben können. Eine Vorstellung, die Flüchtlingshilfeorganisationen wie Pro Asyl und Asylrechtsexperten seit langem kritisieren und als unrealistisch ablehnen.
Dennoch arbeitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach dieser Vorstellung und lehnt daher regelmäßig die Asylanträge von Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ als „offensichtlich unbegründet“ ab. Das Amt prüft zwar die Asylanträge dieser Menschen nach wie vor einzeln. Aber das Asylverfahren ist insgesamt verkürzt, der Ablehnungsbescheid schneller da - und damit die rechtliche Grundlage, um die Menschen rascher in ihr Herkunftsland abschieben zu können.
Davon betroffen sind aktuell besonders Menschen aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, denn diese Länder gelten seit 2014 als „sichere Herkunftsstaaten“. Vor kurzem hat die Bundesregierung angekündigt, auch Albanien, den Kosovo und Montenegro dazu bestimmen zu wollen.
Klägerin aus Mazedonien erhält Flüchtlingsstatus
Doch entgegen der derzeitigen Praxis des BAMF können auch aus „sicheren Herkunftsstaaten“ stammende Menschen Anspruch auf Asyl und einen Status als Flüchtling haben, wie das Verwaltungsgericht Oldenburg diesen September klargestellt hat (AZ: 6 A 32/15). Danach können diese Menschen einen Flüchtlingsstatus erhalten, wenn sie in ihrem Herkunftsstaat politisch verfolgt werden.
Den Verwaltungsrichtern lag der Fall einer in Deutschland aufgewachsene Frau vor, die Mitgründerin eines Vereins für die Rechte der Roma ist und sich in Mazedonien für Minderheitenrechte eingesetzt hatte. Dabei hatte sie zum Beispiel Gewalt staatlicher Stellen dokumentiert und als Wahlbeobachterin gearbeitet. Dies gefiel offenbar der örtlichen Polizei nicht. Nicht nur wurde der Ehemann mehrfach geschlagen, es kam über Jahre auch nach dem Ende der Arbeit für den Verein immer wieder zu Nachstellungen. Diese gipfelten in einem folgenschweren Übergriff, bei dem die seinerzeit Schwangere das ungeborene Kind verlor, weil sie nicht bei einem von Sicherheitskräften geplanten Wahlbetrug mithelfen wollte.
Ende 2012 kam sie nach Deutschland. Den Asylantrag lehnte das zuständige BAMF aus rein formalen und allgemeinen Gründen ab, ohne den Einzelfall betrachtet zu haben. Das Verwaltungsgericht gewährte der jungen Mutter von damals zwei Kindern im Jahr 2013 zunächst vorläufigen Abschiebungsschutz.
Klage gegen abgelehnten Asylantrag erfolgreich
Ihre Klage gegen ihren abgelehnten Asylantrag war erfolgreich: Das Gericht verpflichtete die Bundesrepublik Deutschland, der Klägerin den Status als Flüchtling zuzuerkennen. Es hatte keine Zweifel an den umfangreichen und detaillierten Berichten, die im gesamten Verfahren von der Gegenseite nicht bestritten wurden. Zur mündlichen Verhandlung erschien nicht einmal ein Vertreter der Behörde.
„Das Verfahren beweist, dass die sorgfältige Prüfung des Einzelfalles jedes Asylantrages unbedingt erforderlich ist. Allein die Herkunft aus einem bestimmten Staat darf kein Grund sein, das Schutzniveau zu senken“, kommentiert der Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV), das Urteil. „Die Anerkennung als Flüchtling ist auch bei den sogenannten ‚sicheren Herkunftsstaaten‘ möglich.“
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, das BAMF könnte beantragen, die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zuzulassen. Doch der Rechtsanwalt der Klägerin, Henning J. Bahr, ist trotzdem zuversichtlich: „Ein solcher Antrag dürfte wenig Aussicht auf Erfolg haben“. Das BAMF habe er dazu aufgefordert, einzulenken, indem das Amt das Urteil anerkennt und dem Ehemann und den Kindern ebenfalls Schutz gewährt. Deren Verfahren hat das Verwaltungsgericht zunächst ausgesetzt.
„Wenn die Gerichte bei angeblich 'sicheren' Herkunftsstaaten wie Mazedonien Schutz zuerkennen, ist die Einschätzung des Gesetzgebers, dass es dort ungefährlich ist, sehr zweifelhaft“, so Rechtanwalt Bahr. „Auch in diesen Staaten gibt es immer wieder asylrelevante Verfolgung.“
- Datum
- Aktualisiert am
- 22.02.2016
- Autor
- ime