Viel ist in den vergangenen Tagen über die Verantwortung der Medien rund um die Berichterstattung zum Absturz der Germanwings-Maschine geschrieben und gesagt worden. Journalisten kritisieren ihre Kollegen, Politiker mahnen zu Vorsicht, Augenzeugen beklagen fehlende Pietät einiger Pressevertreter.
Zum einen ist fraglich, ob die Berichterstattung wirklich derart ausfallen muss, dass sie über die bloße Informationsvermittlung mitunter weit hinaus reicht. Teilweise scheinen hier Klick- und Verkaufszahlen mit Anstand und Rücksichtnahme gegengerechnet zu werden. Medienethik ist also die eine Seite. Doch spielt eine weitere Dimension hier hinein: die rechtliche.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein hohes und vom Grundgesetz geschütztes Gut. Demgegenüber steht hier das Informationsinteresse der Bevölkerung. Wir blicken daher auf verschiedene Bestandteile der Berichterstattung der vergangenen Woche und klären, was Medien aus juristischer Perspektive senden und drucken dürfen.
Ist es erlaubt, den vollen Namen eines Tatverdächtigen zu nennen und ihn unverpixelt auf Fotos zu zeigen?
Normalerweise ist das so lange unzulässig, bis die Strafbarkeit feststeht. Im Falle des Copiloten der Germanwings-Maschine besteht ja noch immer die Möglichkeit, dass ein technischer Defekt das Flugzeug zum Absturz brachte, auch wenn das nach derzeitigem Kenntnisstand wohl unwahrscheinlich ist.
Doch dient gerade diese Katastrophe als Beispiel dafür, dass das Persönlichkeitsrecht von Tatverdächtigen nicht immer zu schützen ist. Denn in der Vergangenheit haben Gerichte entschieden, dass der Name genannt werden darf, wenn der Verdachtsgrad groß genug ist
Daniel Kötz ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Geistiges Eigentum und Medien des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und erklärt: „Wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, ist es zulässig den Namen eines Tatverdächtigen zu nennen und auch Fotos zu zeigen, auf denen er erkennbar ist.“ Mit Blick auf den Flugzeugabsturz fügt Kötz hinzu: „Es ist kaum eine Situation vorstellbar, in der das öffentliche Interesse mehr überwiegt, als hier.“
Endet das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht ohnehin mit dem Tod?
Ja, das schon. Allerdings betrifft das nicht alle Bereiche. „Kommerzialisierbare Anteile leben ebenso fort, wie das Recht am eigenen Bild“, sagt Rechtsanwalt Kötz. Dieses ende – normalerweise – erst zehn Jahre nach dem Tod und werde durch die Erben des Verstorbenen wahrgenommen.
Wie weitgehend dürfen Medien auch das Leben der Angehörigen eines Tatverdächtigen darstellen?
Auch wenn es sich um ein erhebliches öffentliches Interesse an einem mutmaßlichen Täter handelt, müssen die Persönlichkeitsrechte von dessen Angehörigen geschützt werden.
Im Rahmen der Berichterstattung der Germanwings-Tragödie wurden nicht nur der Geburtsort und der Nachname des Copiloten genannt, sondern auch das Haus seiner Eltern gezeigt. Somit müssen sie mit der Belagerung ihrer Nachbarschaft ebenso rechnen, wie auch möglicherweise mit Anfeindungen.
„Hier wird man der Presse vorwerfen dürfen, allzu leichtfertig mit den Persönlichkeitsrechten der Eltern umgegangen zu sein“, sagt Medienrechtsexperte Daniel Kötz.
Dürfen trauernde Angehörige der Opfer gezeigt werden?
Trauernde Angehörige einer großen Katstrophe sind – so zynisch es vielleicht klingen mag – Teilnehmer eines sogenannten zeitgeschichtlichen Ereignisses. Daniel Kötz: „Sie dürfen daher grundsätzlich gezeigt werden.“
Pressekodex
Der Pressekodex des Deutschen Presserat enthält publizistische Grundregeln, von denen sich Journalisten bei ihrer Arbeit leiten lassen sollten. Zwar verstößt man bei Zuwiderhandlung nicht zwangsläufig gegen geltendes Recht, doch hat der Kodex den Charakter einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Verleger und Journalisten haben ihm 1973 durch ihre Verbände zugestimmt.
Nichtsdestotrotz sah sich der Presserat in den vergangenen Tagen bemüßigt, auf einige Grundregeln hinzuweisen. Mit Blick auf Richtlinie 11.3 des Pressekodexes teilte er mit, dass auch Angehörige von Opfern eines solchen Ereignisses ein Recht auf Privatsphäre haben. Die Richtlinie besagt, dass die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen findet. „Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden“, heißt es hier weiter.
Dürfen Medien Fotos von Opfern zu Lebzeiten veröffentlichen?
Zunächst sind auch Opfer von Unfällen oder Straftaten mitunter Teilnehmer eines zeitgeschichtlichen Ereignisses. Doch verhält es sich hier etwas anders. „Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit den Opferschutz herausgearbeitet, der es der Presse grundsätzlich untersagt, Opfer solcher Ereignisse zu zeigen“, erklärt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Kötz. Mit dem Alter eines Opfers hat dies übrigens grundsätzlich nichts zu tun.
Eine große deutsche Tageszeitung präsentierte mindestens in ihrer Online-Ausgabe in der vergangenen Woche Fotos eines der Opfer aus Haltern am See. Diese Bilder entstanden durch das Abfotografieren eines Trauerplakats. Ob das rechtliche Folgen haben wird, bleibt abzuwarten.
Wie steht es um minderjährige Trauernde, etwa an der Schule in Haltern: Dürfen die gezeigt werden?
„Auch hier spielt das Alter keine Rolle, sondern lediglich die Tatsache, ob sie Teilnehmer eines zeitgeschichtlichen Ereignisses sind“, erklärt Medienrechtsanwalt Kötz. Somit kann man davon ausgehen, dass das Abfilmen der Halterner Schülerinnen und Schüler – wenn auch nicht medienethisch – zumindest rechtlich nicht zu beanstanden ist. Allerdings ist grundsätzlich das Urheberrecht zu beachten.
Machen sich Journalisten strafbar, die Geld für Interviews anbieten?
Auch hier kann zwischen den Dimensionen unterschieden werden: Aus juristischer Perspektive ist ein solches Vorgehen nicht zu beanstanden. Augenzeugenberichten zufolge passierte genau das in Haltern am See und im Geburtsort des Copiloten der Germanwings-Maschine. Medienethisch ist ein solches Verhalten selbstredend fragwürdig.
Welche Folgen drohen Redaktionen und Verlagen, wenn sie gegen Persönlichkeitsrechte verstoßen?
Ob Medien oder Privatpersonen: Wer gegen Persönlichkeitsrechte Dritter verstößt, kann auf Unterlassung und Schadensersatz verklagt werden. Daniel Kötz ergänzt: „Unter besonderen Umständen ist auch eine Geldentschädigung denkbar.“
Abschließend: Pietät sollte zur Zurückhaltung anleiten
Völlig unabhängig einer möglichen strafrechtlichen Relevanz der Berichterstattung in einigen Medien, noch ein Wort zur medienethischen Dimension. Ein Haltener Schüler hat in dieser Woche einen Blogbeitrag veröffentlicht, in dem er zusammenfasst, was an seinem Gymnasium – dem, an dem insgesamt 18 Menschen bei dem Absturz ums Leben kamen – medial los war. Zu Beginn des Textes schreibt er:
„Liebe Sensations-Journalisten, haben sie schon einmal auf einen Schlag viele ihrer Freunde, Bekannte oder sogar Verwandte verloren? Nein? Bei der Berichterstattung einiger Medien merkt man das. Und gerade jenen Pressevertretern möchte ich raten, sich einmal zu überlegen, wie sie sich bei dem letzten Todesfall in der Familie gefühlt haben. Was würden sie wohl machen, wenn ihre große Trauer von einem noch größeren Aufgebot von Kameras gefilmt wird?“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
- Datum
- Aktualisiert am
- 01.04.2015
- Autor
- ndm