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Plädoyer

Rassismus im Netz: Facebook ist keine Hilfspolizei

Sollte Facebook fremdenfeindliche Kommentare löschen? © Quelle: Bernd Jaworek

Der grüne Bundes­tags­ab­ge­ordnete Öczan Mutlu erhielt kürzlich eine Mail. In der Mail ging es um „Kanaken“ und „Drecks­türken“, für die man „Auschwitz“ und „Buchenwald“ wieder in „Betrieb“ nehmen solle. Mutlu erstattete Strafanzeige. Vergeblich. Die Staats­an­walt­schaft sah keinen Anfangs­verdacht für eine Straftat.

Der Fall Mutlu zeigt, wie schwer es ist, ein Strafver­fahren in Gang zu bringen, wenn es um fremden­feindliche, rassis­tische Äußerungen geht. Viel einfacher ist es, mit dem Finger auf Facebook, Twitter oder YouTube zu zeigen und die Plattformen anzuprangern, auf denen fremden­feindliche Kommentare verbreitet werden.

Der Justiz­mi­nister verlangt von Facebook, als eine Art Hilfspolizei Arbeit zu verrichten, zu der die Justiz nicht imstande ist. Zudem soll Facebook Kommentare löschen, die nach deutschem Recht weder strafbar noch rechts­widrig sind. Rassismus und Fremden­feind­lichkeit sind in Deutschland nicht verboten, sondern erlaubt.

Auch „Hatespeech“ ist hierzulande nicht justiziabel. Ich darf in der Öffent­lichkeit Hassbot­schaften verbreiten – gegen Ausländer, gegen politische Gegner, gegen Schwule, gegen Lesben, gegen andere Minder­heiten. Erst wenn ich zugleich zu Hass und Gewalt aufrufe oder die Menschenwürde in Frage stelle, ist der Straftat­bestand der Volksver­hetzung (§ 130 StGB) erfüllt. Dies aber auch nur dann, wenn man mir in jeder Hinsicht Vorsatz nachweisen kann.

Der Tatbestand der Volksver­hetzung ist ein stumpfes Schwert. Und eine Verschärfung des Tatbestandes wäre verfas­sungs­rechtlich heikel. Denn das Bundes­ver­fas­sungs­gericht (BVerfG) hat wiederholt Verurtei­lungen aufgehoben. Selbst die hässlich-dumpfe Parole „Auslän­der­rück­führung – für ein lebens­wertes deutsches Augsburg“ steht nach Auffassung der Karlsruher Richter unter dem Schutz der grundrecht­lichen Meinungs­freiheit (Art. 5 GG). Dabei betont das BVerfG, dass „auslän­der­feindliche Äußerungen als solche“ nicht strafbar seien (BVerfG, Entscheidung vom 4. Februar 2010, AZ: 1 BvR 369/04, 1 BvR 370/04, 1 BvR 371/04).

Dem Justiz­mi­nister, der ansonsten keine Scheu zur Verschärfung von Strafge­setzen zeigt, wird bewusst sein, dass die Karlsruher Vorgaben einem allgemeinen Verbot von „Hatespeech“ entgegen­stehen. Dies macht die Facebook-Kampagne des Ministers umso fragwürdiger: Er verlangt die Beseitigung und Unterdrückung von Äußerungen, die unter dem Schutz der Meinungs­freiheit und somit unter Grundrechts­schutz stehen. Dies kann man mit Fug und Recht Zensur nennen.

Ein weiteres kommt hinzu: Provider wie Facebook sind in Europa nicht zu Kontrollen der Inhalte ihrer Nutzer verpflichtet. Wenn Minister Maas somit Kontrollen verlangt, fordert er nicht Gesetzestreue, sondern eine Verant­wortung, die rechtlich nicht besteht. Eine Verant­wortung, mit denen große, etablierte US-Unternehmen wie Facebook und Google vielleicht noch zurecht­kommen können. Denn je größer das Unternehmen, desto mehr kann man sich Compliance und „Over-Compliance“ leisten.

Aber was sage ich als Anwalt dem Berliner Start-Up, das eine Flücht­lingshilfe-Plattform gründen möchte und mich fragt, ob man für hässliche Kommentare einzelner Nutzer zur Rechen­schaft gezogen werden kann. Jede Daumen­schraube, die ein Minister vor laufenden Kameras Facebook, Google, Twitter & Co. anlegen möchte, erschwert es deutschen Unternehmen, den Anschluss an den weltweiten Digitalmarkt zu halten.

Meinungs­freiheit und Toleranz sind ein Geschwis­terpaar. Und „tolerieren“ heißt „aushalten“. Eine Gesell­schaft, die fremden­feind­lichen Unsinn und rassis­tische Parolen nicht mehr aushält, begibt sich auf abschüssiges Terrain. Und wer glaubt denn bitte ernsthaft, dass sich Rassismus durch Wegwünschen, Wegschauen, Ausblenden, Unterdrücken oder durch einen Facebook-Löschknopf besiegen lässt?

Marcel Keienborg ist anderer Meinung: Er findet, dass rassis­tische Kommentare gelöscht werden sollten. Sein Plädoyer finden Sie hier.

Datum
Aktualisiert am
12.10.2015
Autor
Prof. Niko Härting
Bewertungen
1493 2
Themen
Diskri­mierung Facebook Internet Plädoyer Rassismus

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