Zustän­digkeit

Verstorbene Grenzpendler: Welches Gericht ist zuständig?

In Grenzregionen pendeln immer mehr Menschen regelmäßig zwischen zwei Ländern. © Quelle: S.Hoss/fotolia.com

Die interna­tionale Zustän­digkeit in Erbsachen bestimmt sich seit August 2015 nach europäischem Recht. Danach ist grundsätzlich der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers entscheidend. Dieser bestimmt sich unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der persön­lichen familiären Einglie­derung des Erblassers in dem (Aufenthalts-)Mitgliedstaat. Doch was gilt als gewöhn­licher Aufent­haltsort eines verstorbenen Grenzpendlers, der im Herkunftsstaat zwar keinen Wohnsitz mehr hatte, aber dort verblieb und im auslän­dischen Zweitstaat nicht integriert war? Die Arbeits­ge­mein­schaft Erbrecht des Deutschen Anwalt­vereins (DAV) informiert über die Entscheidung des Kammer­ge­richts (KG) Berlin.

Der Fall: Erblasser zieht kurz vor dem Tod in anderes Land

Im zu entschei­denden Fall hatte der Erblasser seinen ersten Wohnsitz in Deutschland abgemeldet und war sechs Jahre vor seinem Tod nach Polen überge­siedelt. Das KG musste nun entscheiden, ob deutsche oder polnische Gerichte für den Grenzpendler zuständig sind.

KG: Bei Grenzpendler kommt es nicht immer auf den Wohnsitz an

Das Gericht stellte anhand einer Vielzahl von Anhalts­punkten fest, dass der Erblasser seinen gewöhn­lichen Aufenthalt in Deutschland hatte: Die Familie des Erblassers, der erst im Alter von 72 Jahren im Jahr 2010 seinen Erstwohnsitz in Berlin aufgegeben hatte, verblieb im Raum Berlin. Der Verstorbene unterhielt die üblichen familiären Kontakte unverändert bei. In der Wohnung der Tochter in Berlin behielt er einen Zweitwohnsitz lediglich für “Meldezwecke” bei, ohne sich dort jedoch tatsächlich aufzuhalten.

Eine Integration am neuen Wohnort in Polen – unweit der deutsch-polnischen Grenze – erfolgte kaum. Der Erblasser sprach kein polnisch. In das Dorf- und Vereinsleben war er nicht integriert. Persönliche Kontakte beschränkten sich auf Unterhal­tungen mit und Anweisungen an ortsan­sässige Hilfskräfte und gelegentliche Gespräche mit dem deutsch­kundigen Ortspfarrer. Eine neue Familie gründete er in Polen nicht. Ärzte und Kranken­häuser suchte der Erblasser nur in Deutschland auf. Der Erblasser erzielte zudem sämtliche Einkünfte (Renten, Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit im Baugewerbe) in Deutschland. Seine Konten unterhielt er ebenfalls weiterhin in Deutschland.

Lebens­mit­telpunkt in Deutschland: Gewöhn­licher Aufent­haltsort ebenfalls dort

Praktisch täglich überquerte er im Rahmen seiner Tätigkeit im Baugewerbe die Oder, um an seine Baustellen und zu seinen Kunden zu gelangen. Die Entscheidung für die Anmietung des Teils einer Lagerhalle in Polen mit eingebauter Wohnung erfolgte ausschließlich aus wirtschaft­lichen Gründen (deutlich günstigere Miete als in Deutschland) und Zweckmä­ßig­keits­er­wä­gungen (dennoch kurze Wege zu den Kunden in Berlin). Somit bestand unverändert eine besonders enge und feste Bindung an den Heimatstaat des Erblassers. Ein Wohnsitz in einem Land ist daher nicht zwingend für die Feststellung des gewöhn­lichen Aufent­haltsorts notwendig.

Kammer­gericht Berlin, Beschluss vom 26. April 2016 (AZ: 1 AR 8/16)

Quelle: www.dav-erbrecht.de