
Der Fall: Erblasser zieht kurz vor dem Tod in anderes Land
Im zu entscheidenden Fall hatte der Erblasser seinen ersten Wohnsitz in Deutschland abgemeldet und war sechs Jahre vor seinem Tod nach Polen übergesiedelt. Das KG musste nun entscheiden, ob deutsche oder polnische Gerichte für den Grenzpendler zuständig sind.
KG: Bei Grenzpendler kommt es nicht immer auf den Wohnsitz an
Das Gericht stellte anhand einer Vielzahl von Anhaltspunkten fest, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte: Die Familie des Erblassers, der erst im Alter von 72 Jahren im Jahr 2010 seinen Erstwohnsitz in Berlin aufgegeben hatte, verblieb im Raum Berlin. Der Verstorbene unterhielt die üblichen familiären Kontakte unverändert bei. In der Wohnung der Tochter in Berlin behielt er einen Zweitwohnsitz lediglich für “Meldezwecke” bei, ohne sich dort jedoch tatsächlich aufzuhalten.
Eine Integration am neuen Wohnort in Polen – unweit der deutsch-polnischen Grenze – erfolgte kaum. Der Erblasser sprach kein polnisch. In das Dorf- und Vereinsleben war er nicht integriert. Persönliche Kontakte beschränkten sich auf Unterhaltungen mit und Anweisungen an ortsansässige Hilfskräfte und gelegentliche Gespräche mit dem deutschkundigen Ortspfarrer. Eine neue Familie gründete er in Polen nicht. Ärzte und Krankenhäuser suchte der Erblasser nur in Deutschland auf. Der Erblasser erzielte zudem sämtliche Einkünfte (Renten, Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit im Baugewerbe) in Deutschland. Seine Konten unterhielt er ebenfalls weiterhin in Deutschland.
Lebensmittelpunkt in Deutschland: Gewöhnlicher Aufenthaltsort ebenfalls dort
Praktisch täglich überquerte er im Rahmen seiner Tätigkeit im Baugewerbe die Oder, um an seine Baustellen und zu seinen Kunden zu gelangen. Die Entscheidung für die Anmietung des Teils einer Lagerhalle in Polen mit eingebauter Wohnung erfolgte ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen (deutlich günstigere Miete als in Deutschland) und Zweckmäßigkeitserwägungen (dennoch kurze Wege zu den Kunden in Berlin). Somit bestand unverändert eine besonders enge und feste Bindung an den Heimatstaat des Erblassers. Ein Wohnsitz in einem Land ist daher nicht zwingend für die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts notwendig.
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 26. April 2016 (AZ: 1 AR 8/16)
Quelle: www.dav-erbrecht.de
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- dpa/red