
Es ist für viele Deutsche fast selbstverständlich geworden, in einem der europäischen Nachbarländer zu arbeiten oder ihren Lebensabend im Süden zu verbringen. Auch wohnen immer mehr deutsche Senioren etwa in polnischen oder tschechischen Pflegeheimen.
Für diese Auslandsdeutschen ändern sich künftig die Regeln, nach denen sie ihr Vermögen zum Beispiel an ihre in Deutschland lebende Familie vererben können. Denn für Erbfälle über verschiedene Landesgrenzen hinweg ändern sich ab dem 17. August 2015 zentrale Vorschriften des Erbrechts. Bei Todesfällen nach diesem Stichtag greift künftig die neue Erbrechtsverordnung der Europäischen Union, danach werden grenzüberschreitende Erbfälle künftig innerhalb der EU nach den gleichen Regeln abgewickelt. Nur in Dänemark, Großbritannien und Irland gilt die Verordnung nicht.
Betroffen von den neuen Vorschriften könnten zahlreiche Erblasser und ihre Familien sein, denn grenzüberschreitende Erbfälle machen immerhin rund zehn Prozent aller Erbschaften in der EU aus. Das sind jährlich 450.000 Fälle, bei denen Vermögen im Wert von 123 Milliarden Euro vererbt wird.
Neues EU-Erbrecht: Es gilt das Prinzip des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes
Mit der neuen Erbrechtsverordnung will die EU grenzüberschreitendes Erben einfacher machen. Deshalb werden solche Erbfälle in der EU künftig nach dem Erbrecht des Landes abgewickelt, in dem der Erblasser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Staatsangehörigkeit des Erblassers spielt keine Rolle mehr.
Bisher vererbte ein Deutscher, der im Ausland lebt, sein Vermögen nach deutschem Erbrecht. Denn nach deutschem Recht bestimmt sich das Erbrecht nach der Staatangehörigkeit des Erblassers. Andere Länder in der EU aber richten sich nach dem Wohnort des Erblassers.
„In der Vergangenheit kollidierten bei grenzüberschreitenden Erbfällen häufig unterschiedliche Rechtssysteme, was bei Erben für viel Rechtsunsicherheit gesorgt hat“, sagt der Rechtsanwalt Dr. Hubertus Rohlfing von der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). „Es war häufig unklar, welches Gericht für die Erbschaft zuständig war und welches nationale Recht gelten sollte.“
Ein Deutscher, der etwa in Frankreich wohnt, konnte in der Vergangenheit zwar sein Vermögen nach deutschem Erbrecht vererben. Doch sein Haus dort musste er nach französischem Recht vererben, denn dieses hatte bei unbeweglichem Vermögen Vorrang vor deutschem Erbrecht. Dieser Rechtslage folgten häufig Nachlass-Spaltungen mit komplizierten und mitunter teuren gerichtlichen Verfahren für die Erben.
Welche Folgen hat das neue EU-Erbrecht für deutsche Testamente?
Die neuen Regeln des EU-Erbrechts sollte jeder beachten, der im Ausland lebt und künftig seinen Nachlass regelt und ein Testament aufsetzt. Wie die Rechtslage bei bestehenden Testamenten und Erbverträgen aussieht, erklärt Rechtsanwalt Dr. Hubertus Rohlfing: „Diese Dokumente bleiben wirksam, wenn sie von Einzelpersonen verfasst sind. Anders kann es aber für gemeinschaftlich verfasste Testamente aussehen. Betroffen davon sein könnten Ehepaare, die ein ‚Berliner Testament‘ verfasst haben.“
Das unter deutschen Ehepaaren sehr beliebte „Berliner Testament“ ist eine Sonderform des Testaments, bei der sich die Partner gegenseitig bindend als Alleinerben einsetzen. Auch enthalten „Berliner Testamente“ häufig eine Klausel, nach der die Kinder das Vermögen erben, wenn der zweite Partner stirbt. „Solche bindenden Vorgaben sind in Ländern wie Frankreich, Spanien oder Italien aber völlig unbekannt oder sogar unzulässig“, sagt der Erbrechtsspezialist Dr. Rohlfing. „Deshalb muss man aufpassen, dass Ehegattentestamente durch die neue Erbrechtsverordnung der EU nicht unwirksam werden. Man sollte sie auf jeden Fall schnell aktualisieren.“
Neue EU-Erbrechtsverordnung: Nationales Recht wählen
„Berliner Testamente“ können Paare aktualisieren, indem sie dem Dokument einen formwirksamen, also handgeschriebenen Passus hinzufügen, der festlegt, dass in ihrem Erbfall nicht das Wohnortprinzip greifen soll, sondern das der Staatsangehörigkeit, ihr Nachlass also etwa nach deutschem Erbrecht abgewickelt werden soll. Bei Änderungen sollte man die allgemein für Testamente geltenden Formvorschriften beachten, wie sie das Bürgerliche Gesetzbuch vorsieht. Diese Vorschriften haben sich durch die Erbrechtsverordnung nicht geändert.
EU-Erbrecht: Was ist das Europäische Nachlasszeugnis?
Mit den neuen Vorschriften zum EU-Erbrecht gilt für grenzüberschreitende Erbschaften auch ein neues europäisches Nachlasszeugnis. Das Nachlasszeugnis ist mit dem deutschen Erbschein vergleichbar und enthält neben persönlichen Daten der Erben und des Erblassern Angaben über das nationale Recht, das in diesem Fall greifen soll. Das Nachlasszeugnis kann auch Erbquoten enthalten oder den Namen des Testamentsvollstreckers bei einer Testamentsvollstreckung. Beantragen muss man das Zeugnis bei dem Gericht oder der Behörde an dem Ort, an dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
- Datum
- Aktualisiert am
- 17.08.2015
- Autor
- ime