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„Meine Verwandten bekommen nichts“: Was gilt als Negativ­tes­tament?

Streit in der Familie wirkt sich oft auf das Testament aus. © Quelle: Heagney/gettyimages.de

In einem sogenannten Negativ­tes­tament kann der Erblasser bestimmen, dass bestimmte Verwandte von der gesetz­lichen Erbfolge ausgeschlossen sein sollen. Wenn der Erblasser aber lediglich festlegt, dass die Verwandten nichts bekommen sollen, sind dann wirklich alle Verwandten gemeint? Die Arbeits­ge­mein­schaft Erbrecht des Deutschen Anwalt­vereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts (OLG) Düsseldorf.

Der Fall: Verwandten von Erbfolge ausgeschlossen, kein Erbe bestimmt

Die allein stehende Erblasserin schließt in ihrem 1976 errichteten Testament zwei bestimmte Nachfahren ihrer Urgroß­eltern und deren Nachfolger ausdrücklich namentlich von der Erbfolge aus. Sodann schreibt sie: „Es ist mein letzter Wille daß andere entfernte Verwandte nichts vom ganzen Vermögen erhalten.“ Einen Erben bestimmt sie hingegen nicht.

Eine Cousine zweiten Grades nimmt an, dass sie gesetzliche Miterbin geworden ist und beantragt einen Erbschein zu ihren Gunsten. Sie meint, dass sich aufgrund der Benennung des Ausschlusses einzelner Personen beziehungsweise Personen­gruppen durch die Erblasserin im Testament im Umkehr­schluss ergebe, dass die übrigen gesetz­lichen Erben Rechts­nach­folger geworden sind. Die Erblasserin wollte innerhalb ihrer Familie nicht alle Verwandten enterben. Dies ergebe sich auch schon aus der allgemeinen Lebens­er­fahrung, dass niemand wolle, dass der Fiskus erbe.

OLG: Ein Negativ­tes­tament muss keinen Erben benennen

Das OLG Düsseldorf sieht dennoch den Fiskus als Erben an: Der Erblasser kann nach dem Gesetz aufgrund der Testier­freiheit grundsätzlich durch ein so genanntes Negativ­tes­tament Verwandte teilweise oder vollständig von der gesetz­lichen Erbfolge ausschließen, auch ohne gleich­zeitig eine positive Anordnung über die Erbfolge zu treffen. Die Enterbung eines gesetz­lichen Erben umfasst in der Regel nicht dessen Abkömmlinge, es sei denn auch dieser Wille des Erblassers ergibt sich unzwei­deutig aus der letztwilligen Verfügung. Dieser Wille des Erblassers muss bei der weiteren Enterbung der Abkömmlinge aber unzwei­deutig zum Ausdruck kommen.

Erblas­serwille: Auslegung des Testaments ist umfangreich

Im Rahmen der Auslegung ist der im Rechtssinn erklärte wirkliche Wille der Erblasserin zu erforschen. Dabei ist nicht an dem buchstäb­lichen Sinn eines Ausdrucks zu haften: Es ist der gesamte Inhalt der Erklärung einschließlich aller Nebenum­stände zu würden, auch solcher außerhalb des Testaments, und zudem die allgemeine Lebens­er­fahrung zu berück­sichtigen.

Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen „hinterfragt” werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll. Es müssen daher der gesamte Text der Verfügung und auch alle zugäng­lichen Umstände außerhalb der Testaments­urkunde ausgewertet werden, die möglicherweise zur Aufdeckung des Erblas­serwillens dienlich sind. Hierzu gehören unter anderem die Vermögens- und Famili­en­ver­hältnisse des Erblassers, seine Beziehungen zu den Bedachten und seine Zielvor­stel­lungen.

Auch allgemeine Lebens­er­fahrung zu berück­sichtigen

Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der letztwilligen Verfügung, wobei zunächst die einzelne Verfügung isoliert zu betrachten ist und dann im Kontext mit dem gesamten Text. Im nächsten Schritt sind dann der Aufbau, die Systematik des Testaments und letztlich die allgemeine Lebens­er­fahrung beziehungsweise allgemeine Erfahrungssätze zu berück­sichtigen.

Verwandt­schaft im famili­en­recht­lichen Sinne ist im BGB definiert. Danach ist die Klägerin mit der Erblasserin in Seitenlinie verwandt, da der Großvater väterli­cherseits der Erblasserin der Urgroßvater mütter­li­cherseits der Klägerin gewesen ist. Nach dem allgemeinen Sprach­ge­brauch – unter Berück­sich­tigung des maßgeb­lichen Zeitpunkts der Testaments­er­richtung – ist die Klägerin für die Erblasserin eine entfernte Verwandte.

Sie gehört als Tochter der Cousine der Erblasserin nicht nur einer anderen Generation an, sondern das engste gemeinsame Famili­en­mitglied, zu dem jeweils eine Verwandt­schaft in gerader Linie besteht, ist der Urgroßvater der Klägerin. Er verstarb bereits 1871, sodass selbst die 1894 geborene Erblasserin ihn nicht persönlich kannte. Die Auslegung des Testamentes der Erblasserin ergibt dadurch zweifelsfrei, dass die klagende Cousine zweiten Grades eine „andere entfernte Verwandte“ im Sinne des Testaments ist.

Naher Verwandter oder naheste­hender entfernter Verwandter?

Auch der Umstand, dass die Klägerin die Erblasserin persönlich kannte und lebzeitiger Kontakt bestand, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn persön­licher Kontakt mit Verwandten, seien sie nahe oder entferntere Verwandte, führt nicht dazu, dass sich die Nähe der Verwandt­schaft ändert. Aus entfernten Verwandten werden dadurch nicht nahe Verwandte, sondern gegebe­nenfalls einer Person nahestehende entfernte Verwandte.

Die Formulierung im streit­ge­gen­ständ­lichen Testament bezieht sich aber offenkundig nicht auf das persönliche Nähever­hältnis, sondern auf die Nähe der Verwandt­schaft. Das Testament trifft zudem keine Regelung dahingehend, dass „entfernte Verwandte“ nur solche sein sollen, die die Erblasserin nicht persönlich kannte. Die Klägerin ist somit eine entfernte Verwandte der Erblasserin.

Lieber entfernter Verwandter als Fiskus: Allgemeiner Erfahrungssatz?

Dass dieses Ergebnis der Auslegung nicht dem tatsäch­lichen Willen der Erblasserin entspräche, ist nicht ersichtlich. Dass die nach der Auslegung zweifelsfreie Enterbung aller entfernten Verwandten mit dem dritten Satz des Testaments die vorher­ge­henden Sätze – jedenfalls weitgehend – überflüssig machte, begründet nicht den Rückschluss, dass dieses Ergebnis dem tatsäch­lichen Willen der Erblasserin nicht entsprechen würde. Mit der Aufzählung der Personen hat die Erblasserin erst definiert, was sie unter einem entfernten Verwandten verstand, nämlich bereits ihren Cousin.

Ob tatsächlich ein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend besteht, dass ein Erblasser das Erbrecht eines auch noch so weit entfernten Verwandten zumeist dem Erbrecht des Fiskus vorziehen würde, kann dahinstehen. Denn der Ausschluss des Verwand­te­nerb­rechts ist hier anhand der letztwilligen Verfügung der Erblasserin ohne Zweifel feststellbar, so dass das Erbrecht des Fiskus nicht vorschnell angenommen worden ist.

Oberlan­des­gericht Düsseldorf am 25. September 2015 (AZ: I-7 U 77/14)

Quelle: www.dav-erbrecht.de

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dpa/red
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