Was versteht man unter beruflicher Selbstständigkeit?
Berufliche Selbstständigkeit bedeutet, dass eine Person selbstständig arbeitet und ihr Einkommen aus ihrer eigenen Arbeit erwirtschaftet, ohne von einer Arbeitgeberin oder einem Arbeitgeber abhängig zu sein. Im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer hat eine selbstständig tätige Person mehr Freiheit in Bezug auf ihre Arbeitszeit, ihre Arbeitsweise und ihre Kunden. Sie ist auch verantwortlich für ihre eigene Buchhaltung, Steuern und Sozialversicherung.
Berufliche Selbstständigkeit kann in vielen verschiedenen Formen und Branchen auftreten. Einige Beispiele für beruflich Selbstständige sind:
- Freiberufliche Dienstleister wie Anwälte, Ärzte, Berater oder Architekten
- Künstler und Kreative wie Schriftsteller, Musiker oder Designer
- Handwerker und Bauunternehmer
- Kleinunternehmer, die ein eigenes Geschäft gründen und führen, z.B. im Einzelhandel oder im Gastrogewerbe.
Was ist Scheinselbstständigkeit?
Scheinselbstständigkeit tritt auf, wenn eine Person, die formal als selbstständig eingestuft wird, in Wirklichkeit wie ein Arbeitnehmer für einen Arbeitgeber tätig ist. Dies bedeutet, dass die Person in ihrer Arbeitsweise und Arbeitszeit eingeschränkt ist und regelmäßige Arbeitsanweisungen vom Arbeitgeber erhält. Die Person hat in der Regel wenig Kontrolle über den Arbeitsablauf und die Arbeitsbedingungen. Die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und Scheinselbstständigkeit ist oft schwierig zu treffen und hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. der Art der Tätigkeit, dem Grad der Abhängigkeit vom Arbeitgeber und der Frage, ob die Person eigenes Unternehmerrisiko trägt.
Warum sind Menschen Scheinselbstständig?
Bis auf einige Ausnahmen, bei denen die Abgrenzung zwischen angestellt und selbstständig schwieriger ausfällt, sind die spezifischen Konstellationen für den Großteil der in Deutschland arbeitenden Menschen offenkundig. Bereits der Begriff „Scheinselbstständigkeit“ lässt vermuten, dass ein Interesse für das vortäuschen von beruflicher Unabhängigkeit besteht. Ein Vorteil aus Sicht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber kann darin liegen, dass sie auf diese Weise erhebliche Personalkosten sparen. Scheinselbstständige erhalten meist höhere Stundensätze als Arbeitnehmer, da sie selbst für ihre Abgaben und Versicherungen aufkommen müssen. Ein weiterer Vorteil: auf Schwankungen in der Nachfrage (Produkte/Dienstleistungen) können Arbeitgeber flexibler reagieren, da sie nicht an Kündigungsfristen und Arbeitszeitregelungen gebunden sind.
Arbeitsverhältnis und Arbeitsvertrag
Dagegen ist im vierten Sozialgesetzbuch (SGB IV) festgelegt, wann jemand angestellt beschäftigt ist: „Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“, (§ 7, Art. 1, SGB IV).
Rechtsanwalt Alexander Stöhr, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV):
"Zwischenzeitlich hat der Gesetzgeber in § 611 a BGB den Arbeitsvertrag - nicht das Arbeitsverhältnis - legal definiert. Hiernach wird der Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht könne Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen.“
Weisungsgebunden sei nach der gesetzlichen Regelung, „wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen könne“, so der Fachanwalt.
Welche Risiken gehen Arbeitgeber ein, wenn sie Angestellte als scheinselbstständig beschäftigen?
Wenn Behörden die Verschleierung entdecken, können hohe Nachzahlungen für Sozialabgaben und Steuern anfallen, die das Unternehmen erheblich belasten. Zudem werden meist Bußgelder und Strafen fällig, die in einigen Fällen sogar existenzbedrohend sind. Eine Prüfung des Betriebes ist regelmäßig durch die Rentenversicherung vorgesehen. Dazu heißt es in § 28p, viertes Buch SGB IV: „Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a) mindestens alle vier Jahre.“
"Ferner können sich Scheinselbständige beispielsweise bei einer Kündigung ihres Auftrags in das Unternehmen "einklagen" und Kündigungsschutzklage einreichen, mit der Argumentation, sie seien in Wirklichkeit Arbeitnehmer gewesen. Dann hat das Unternehmen ungewollt einen neuen Mitarbeiter, der gar nicht so leicht kündbar ist, da für ihn das Kündigungsschutzgesetz gilt" führt Rechtsanwalt Stöhr aus.
Baufirma zu hoher Nachzahlung verurteilt
Das Hessische Landgericht verurteilte eine Baufirma am 07. März 2023, 100.000€ an Sozialbeiträgen nachzuzahlen (AZ: L 8 BA 51/20). Das Unternehmen beschäftigte drei Männer, um Trockenbauarbeiten zu verrichten. Diese gründeten eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), um mit ihrem Arbeitgeber einen Nachunternehmervertrag abzuschließen. Der Arbeitgeber zahlte sodann keine Sozialversicherungsbeiträge. Nach mehreren gerichtlichen Instanzen wurde geurteilt, dass die Männer abhängig beschäftigt wurden und durch den Nachunternehmervertrag eine Scheinselbständigkeit geschaffen wurde:
„Der mit ihnen geschlossene Nachunternehmervertrag habe lediglich der Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse und der Umgehung der gesetzlichen Sozialabgabenpflicht gedient.“
(Selbstständig oder abhängig tätig: Wann greift Versicherungspflicht?)
Allerdings: auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergeben sich Nachteile, wenn Sie widerrechtlich berufliche Unabhängigkeit vortäuschen. Sie verlieren jedenfalls im Zeitraum ihrer Beschäftigung zunächst den Anspruch auf Kündigungsschutz, Tarifbindung, soziale Absicherung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Wie vermeidet man Scheinselbstständigkeit?
Einige Punkte sollten beachtet werden, damit man nicht in diese Kategorie fällt. Sie beinhalten:
- Klarheit bei der Vertragsformulierung - Verantwortlichkeiten/Art der Tätigkeit etc.
- unabhängige Arbeitsweise - nicht Weisungsgebunden
- eigene Arbeitsmittel – Ressourcen wie Arbeitsausrüstung, Werkzeuge, etc.
- eigene Angestellte
- mehrere Auftraggeber - der Auftragnehmer sollte für mehrere Auftraggeber tätig sein und nicht ausschließlich für einen Auftraggeber arbeiten.
Die Kriterien können von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Daher ist es ratsam, sich von einer Expertin oder einem Experten mit Spezialisierung auf Arbeits- oder Sozialrecht beraten zu lassen. Um sicherzustellen, dass alle Aspekte der Zusammenarbeit rechtskonform sind. Suchen Sie am besten direkt nach Anwältinnen und Anwälten in Ihrer Nähe auf anwaltauskunft.de.
- Datum
- Aktualisiert am
- 18.04.2023
- Autor
- red/dav