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Selbst­ständig tätig: Was muss man bei der Sozial­ver­si­cherung beachten?

Selbstständig tätig sein kann viele Freiheiten mit sich bringen. © Quelle: HiyaImages/corbisimages.com

Wer freibe­ruflich tätig ist oder sich als Existenz­gründer selbst­ständig machen will, braucht nicht nur gute Geschäftsideen. Man braucht auch einiges sozial­recht­liches Know-how, um zu überblicken, ob man zum Beispiel sozial­ver­si­che­rungs­pflichtig ist. Wir haben die wichtigsten Regeln zum Thema Sozial­ver­si­cherung und Selbstän­digkeit zusammen­ge­stellt.

Die deutsche Sozial­ver­si­cherung hat eine lange Geschichte. Heutzutage setzt sie sich aus fünf Versiche­rungen zusammen: Kranken­ver­si­cherung, Renten­ver­si­cherung, soziale Pflege­ver­si­cherung, Arbeitslosen- und Unfall­ver­si­cherung. Geregelt sind diese Versiche­rungen in den entspre­chenden Sozial­ge­setz­büchern.

In die Sozial­ver­si­cherung muss jeder Arbeiter, Angestellte, Auszubildende, Praktikant, Rentner oder der zwingend einzahlen, der Arbeits­lo­sengeld I erhält. Dabei teilen sich etwa Arbeit­nehmer die Beiträge zur Sozial­ver­si­cherung paritätisch mit dem Arbeitgeber, wobei dieses Prinzip etwa bei den Beiträgen zur gesetz­lichen Kranken­ver­si­cherung aufgeweicht worden ist.

Auch Selbst­ständige sind in vielen Fällen sozial­ver­si­che­rungs­pflichtig. Der Anteil Selbst­ständiger liegt aktuell bei 4,1 Millionen - ein Anstieg um 200.000 Personen im Zeitraum zwischen 2002 und 2014. Der Anteil sogenannter Solo-Selbst­ständiger liegt bei 57 Prozent.

Selbst­ständige: hohe Schulden bei Kranken­kassen

Nach einer Studie des Wissen­schaft­lichen Instituts der Ortskran­ken­kassen (WidO) aus dem Jahr 2016 gehören 71 Prozent der in der gesetz­lichen Kranken­ver­si­cherung (GKV) versicherten Selbst­ständigen zu den Solo-Selbst­ständigen. Viele von ihnen leben in wirtschaftlich prekärer Lage und können ihre Kranken­ver­si­che­rungs­beiträge oft nicht zahlen. Nicht selten liegt der Jahres­ver­dienst von Solo-Selbst­ständigen bei 9.444 Euro. Über ein Drittel davon müssen sie für ihre Kranken­ver­si­cherung zahlen, was viele Selbst­ständige überfordert. Auf mittlerweile sechs Milliarden Euro belaufen sich die Betrags­schulden der Solo-Selbst­ständigen sowie der Angestellten mit einem Jahres­gehalt über der Jahres­ar­beits­ent­gelt­grenze von derzeit 57.600 Euro bei der GKV. Die Bundes­länder Berlin, Thüringen und Brandenburg haben deshalb eine Initiative gestartet, um die Bundes­re­gierung zu einer Reform der Kranken­ver­si­cherung für Solo-Selbst­ständige zu bewegen.

Hauptbe­ruflich selbst­ständig arbeiten: Von der Sozial­ver­si­che­rungs­pflicht befreit?

„Seit 2007 ist jeder verpflichtet, Mitglied in einer Kranken- und Pflege­ver­si­cherung zu sein. Das gilt auch für hauptbe­ruflich Selbst­ständige“, sagt der Hamburger Rechts­anwalt Professor Ronald Richter, Vorsit­zender der Arbeits­ge­mein­schaft Sozialrecht im Deutschen Anwalt­verein (DAV).

„Selbst­ständige können aber wählen, ob sie sich freiwillig gesetzlich oder privat kranken­ver­sichern. In der Regel müssen sie die Versiche­rungs­beiträge komplett selbst bezahlen, denn der Arbeit­ge­ber­anteil an den Beiträgen entfällt bei ihnen.“

Darüber hinaus aber ist die Sozial­ver­si­che­rungs­pflicht bei hauptbe­ruflich Selbst­ständigen gegenüber etwa Arbeit­nehmern gelockert. „Selbst­ständige sind nicht verpflichtet, in die Arbeitslosen, Renten- und Unfall­ver­si­cherung einzahlen“, sagt Rechts­anwalt Ronald Richter. „Es gibt allerdings Ausnahmen.“

Wer zum Beispiel als selbst­ständiger Handwerker, Hebamme, Pfleger, Künstler oder Publizist tätig ist, muss zwingend in die Renten­ver­si­cherung einzahlen.

Wie hoch die Beträge jeweils ausfallen, hängt von den Einnahmen und Ausgaben des Selbst­ständigen ab. Bei pflicht­ver­si­cherten Berufs­gruppen wie Ärzten übernehmen die berufs­ständigen Versor­gungswerke die Beiträge zur Renten­ver­si­cherung.

Künstler und Publizisten, die in der Künstler­so­zi­alkasse versichert sind, zahlen nur die Hälfte der Renten­ver­si­che­rungs­beiträge. Der Rest wird über das Steuer­auf­kommen finanziert und aus den Abgaben derjenigen, die von der publizis­tischen oder künstle­rischen Arbeit profitieren, also etwa Theatern.

Nebenbe­ruflich selbst­ständig: Wie sehen die Regeln zur Sozial­ver­si­cherung aus?

Wer im Hauptberuf fest angestellt ist und nebenher als Selbst­ständiger arbeitet, ist unter Umständen von der Pflicht befreit, in die Renten-, Arbeitslosen- und Unfall­ver­si­cherung einzahlen zu müssen. Hier kommt es aber darauf an, ob man mehr Zeit für die nebenbe­rufliche Tätigkeit aufbringt als für die Arbeit als Festan­ge­stellter oder ob man nebenbe­ruflich ein höheres Einkommen erzielt als in der Festan­stellung.

Häufig kann man selbst nur schwer einschätzen, ob man der Sozial­ver­si­che­rungs­pflicht unterliegt. Um dabei auf der sicheren Seite zu stehen, sollte man sich an die Deutsche Renten­ver­si­cherung wenden und ein Status­fest­stel­lungs­ver­fahren durchführen lassen.

Vorstand einer AG oder Geschäfts­führer einer GmbH: Gilt die Sozial­ver­si­che­rungs­pflicht?

Vorstände einer Aktien­ge­sell­schaft sind gesetzlich von der Sozial­ver­si­che­rungs­pflicht befreit. Dies sind Geschäfts­führer einer GmbH nicht. Während früher 25,1 Prozent ausreichten sowie die Feststellung der Befreiung von § 181 des Bürger­lichen Gesetz­buches, geht die Rechtsprechung inzwischen davon aus, dass nur noch Mehrheits­ge­sell­schafter von der Sozial­ver­si­che­rungs­pflicht als Geschäfts­führer einer GmbH oder einer UG haftungs­be­schränkt befreit werden können. „Das gilt auch für diejenigen, die im Gesell­schafts­vertrag oder der Satzung der GmbH ein Vetorecht oder eine Stimmbindungs- oder Poolver­ein­barung abgeschlossen haben“, erklärt der Sozial­rechts­experte Ronald Richter.

Umstrittenes Thema: Was ist eine selbst­ständige Tätigkeit?

Eine sehr umstrittene sozial­rechtliche Frage ist, wer als Selbst­ständiger gilt. Nach dem Sozial­ge­setzbuch IV (SGB IV) gilt als selbst­ständig, wer keiner abhängigen Beschäf­tigung nachgeht: „Beschäf­tigung ist die nichtselb­ständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeits­ver­hältnis. Anhalts­punkte für eine Beschäf­tigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Einglie­derung in die Arbeits­or­ga­ni­sation des Weisungs­gebers.“

„Daraus leitet sich im Umkehr­schluss ab, was unter selbst­ständige Arbeit fällt“, sagt Rechts­anwalt Richter. „Dabei ist eines der wichtigsten Kriterien für eine Selbst­stän­digkeit die Frage, ob man selbst Arbeit­nehmer beschäftigt.“ Aber auch etwa das Investieren eigenen Kapitals in das Unternehmen oder das alleinige Tragen des unterneh­me­rischen Risikos sind Kriterien für eine Selbst­stän­digkeit.

Nach diesen Kriterien gelten Händler oder Gewerbe­treibende als Selbst­ständige sowie alle, die einer freibe­ruf­lichen Tätigkeit nachgehen, also Angehörige freier Berufe wie Psychologen, Ärzte, Physio­the­ra­peuten, Architekten oder Rechts­anwälte.

„In der Praxis zeigt sich aber, dass nicht allen Selbst­ständigen dieser Status zuerkannt wird“, sagt Rechts­anwalt Richter. „Häufig vermutet die Deutsche Renten­ver­si­cherung eine Schein­selbst­stän­digkeit, der zu Folge die Betroffenen eigentlich abhängig beschäftigt sind.“

Der Grund für die Unklarheit des Status und damit für viele Gerichts­urteile liegt darin, dass die rechtlich definierten Kriterien sehr viel Spielraum für Interpre­ta­tionen lassen. „Die juristischen Vorgaben sind zu offen und schwammig formuliert“, sagt der Sozial­rechts­experte Ronald Richter. „Hier muss die Politik für mehr Klarheit sorgen.“

Wann ist man schein­selbst­ständig tätig?

Besonders häufig vermutet die Deutsche Renten­ver­si­cherung eine Schein­selbst­stän­digkeit dann, wenn ein Selbst­ständiger nur einen einzigen Auftraggeber hat und seine Einkünfte hauptsächlich über diesen erzielt. Verdächtig von der Warte der Renten­ver­si­cherung aus ist auch, wenn ein Arbeit­nehmer weisungs­ge­bunden arbeitet oder bereits vor Beginn der Selbstän­digkeit in Festan­stellung bei dem Arbeitgeber beschäftigt war.

Ob eine Schein­selb­stän­digkeit vorliegt, prüft die Renten­ver­si­cherung Bund in einem Status­fest­stel­lungs­ver­fahren. Ergibt das Verfahren, dass eine Schein­selbst­stän­digkeit vorliegt, muss der Arbeitgeber die gesetzlich vorgesehenen Sozial­ver­si­che­rungs­beiträge nachzahlen, und zwar rückwirkend vom Beginn der Schein­selbst­stän­digkeit an. Hat ein  Arbeitgeber vorsätzlich keine Sozial­ver­si­che­rungs­beiträge gezahlt, kann r sich strafbar machen.

Selbst­ständige: Freiwillig selbst versichern?

Selbst­ständige, die nicht verpflichtet sind, in die Kasse der Renten­ver­si­cherung einzuzahlen, können sich dort freiwillig versichern. Das ist innerhalb der ersten fünf Jahre der Selbst­stän­digkeit möglich. Die Höhe der Beiträge hängt davon ab, wie alt der Selbst­ständige ist und wie viel er oder sie verdient. Wer in der Renten­ver­si­cherung versichert ist, kann auch eine Riester-Rente abschließen und sich diese vom Staat bezuschussen lassen. Zumindest hat man ab einem bestimmten Einzah­lungs­betrag Anspruch auf jährliche Zulagen. Diese werden für erwachsene Versicherte und auch deren Kinder gezahlt.

Wer als Selbst­ständiger die oft hohen Kosten der Privaten Kranken­ver­si­cherung (PKV) umgehen will, kann sich auch freiwillig gesetzlich versichern. Das ist aber nur möglich in den ersten drei Monaten nach Ende der Versiche­rungs­pflicht, also dem Beginn der selbst­ständigen Tätigkeit. Wer Mitglied einer Kranken­ver­si­cherung ist, egal ob privat oder gesetzlich, ist automatisch in der Pflege­ver­si­cherung versichert. Selbst­ständige, die bereits in die Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung eingezahlt haben, können sich dort freiwillig weiter versichern.

Datum
Aktualisiert am
25.04.2017
Autor
ime
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12820
Themen
Arbeit Freelancer Freibe­rufler Renten­ver­si­cherung Sozial­ver­si­cherung

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