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Berufseinstieg

Die Rechte der Generation Praktikum

Praktikanten sollen nicht nur Kaffee kochen, sondern auch etwas lernen. © Quelle: Ocean/ corbisimages.com

2006 gingen sie zu Tausenden auf die Straße und demons­trierten laut und wütend gegen ihre miesen Arbeits­be­din­gungen und geringen Löhne – Angehörige der „Generation Praktikum“. Wie sieht aktuell die Lage von Prakti­kanten aus, welche Rechte stehen ihnen zu? Die Deutsche Anwalt­auskunft erklärt.

Sie träumen von einem Job als Werber oder Journalist. Ein erster Schritt dorthin ist für viele junge Menschen ein Praktikum. 600.000 Prakti­kanten gibt es nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufs­for­schung von 2011.

Über ein Praktikum sammeln junge Leute während des Studiums berufliche Erfahrungen und machen sich fit für den Arbeitsmarkt. Andere absolvieren Praktika, weil es ihre Studien­ord­nungen so vorschreiben. Aber auch nach dem Studium sind Praktika an der Tagesordnung, denn für frisch­ge­backene Absolventen steht oft nicht gleich die erste Festan­stellung an. Und so beginnen rund 38 Prozent aller Hochschul­ab­sol­venten nach dem Studium ein Praktikum oder eine prakti­kums­ähnliche Beschäf­tigung wie ein Volontariat oder eine Hospitanz – obwohl viele von ihnen im Durchschnitt bereits vier Praktika hinter sich haben. Ihre Motivation für noch ein Praktikum ist klar: Sie wollen einen Job im Unternehmen bekommen.

Keine freie Mitarbeit

Das wollte auch Paul Schneider*. Er absolvierte 2012 vier Monate lang ein Praktikum im Berlin-Büro einer überre­gionalen Tageszeitung. „Ich dachte, dass ich nach dem Praktikum weiter als freier Mitarbeiter für die Zeitung schreiben kann“, berichtet er. „Aber das hat leider nicht geklappt.“ Dass Absolventen wie Paul nach dem Ende des Praktikums wieder auf der Straße stehen, ist kein Einzelfall. Nur 22 Prozent aller Prakti­kanten bekommen von ihrem Arbeitgeber eine Stelle angeboten, wie die Studie „Generation Praktikum“ des Deutschen Gewerk­schafts­bundes (DGB) von 2011 zeigt.

40 Prozent aller Praktika unbezahlt

Der Status von Prakti­kanten ist anders als der von Auszubil­denden gesetzlich nicht klar definiert. Und so sind auch etwa die Angaben zur Bezahlung von Prakti­kanten in den Gesetzes­werken vage. Das Berufs­bil­dungs­gesetz (BBiG) sieht eine angemessene Vergütung für Prakti­kanten vor. Doch was ist angemessen?

Für Pflicht­praktika fordert etwa der DGB ein monatliches Salär von mindestens 300 Euro. Praktika von Hochschul­ab­sol­venten lehnt der Gewerk­schaftsbund hingegen ab. Er fürchtet, Hochqua­li­fi­zierte könnten in Billig-Praktika ausgebeutet werden. „Es ist erforderlich, dass Absolventen anders als durch Praktika ins Berufsleben einsteigen. Zum Beispiel durch Trainee­pro­gramme oder eine normale sozial­ver­si­che­rungs­pflichtige Beschäf­tigung“, sagt Florian Haggen­miller, Bundes­ju­gend­se­kretär des DGB.

Paul hat bei seinem Vollzeit­praktikum 400 Euro im Monat verdient. Leisten konnte er sich das Praktikum nur, weil seine Eltern die Miete für sein WG-Zimmer bezahlt haben. Nach der Studie des DGB liegt das durchschnittliche Gehalt von Prakti­kanten bei monatlich 551 Euro. 40 Prozent aller Praktika sind unbezahlt. Paul und andere junge Menschen leben während des Praktikums vom Geld ihrer Eltern oder von eigenen Erspar­nissen. Manche gehen in der Zeit einem Nebenjob nach.

Allerdings zeichnet eine aktuelle Studie ein etwas anderes Bild von Prakti­kanten. Die gemeinsam von der Online-Jobbörse Absolventa und vom Beratungs­un­ter­nehmen Clevis erstellte Studie geht zum Beispiel davon aus, dass das durchschnittliche Prakti­kums­gehalt bei 736 Euro pro Monat liegt. Außerdem bescheinigt die Studie der aktuellen Prakti­kan­ten­ge­neration eine hohe Zufrie­denheit mit ihrer Situation.

Ein Praktikum ist kein Arbeits­ver­hältnis

Zufrieden mit seinem Praktikum ist auch Paul, hat er doch von seiner Erfahrung sehr profitiert. „Ich fand die großen Redakti­ons­sit­zungen toll. In der Zeit habe ich viel gelernt und konnte Texte veröffent­lichen“, erzählt er. Paul bedauert nur, dass die Redakteure in der Alltags­hektik wenig Zeit hatten, mit ihm seine Texte zu besprechen oder ihm Tipps zu geben.

Gerade die Ausbildung ist juristisch gesehen aber der Sinn eines Praktikums. „Ein Praktikum ist kein Arbeits­ver­hältnis. Das Erlernen beruflicher Fähigkeiten steht im Mittelpunkt“, erklärt die Rechts­an­wältin Dr. Nathalie Oberthür von der Arbeits­ge­mein­schaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwalt­verein (DAV). Ein Praktikant sei zwar zum Erwerb praktischer Erfahrungen regelmäßig in die täglichen Arbeits­abläufe eingebunden, doch stehe nicht die Arbeits­leistung im Vordergrund, sondern die Wissens­ver­mittlung.

Prakti­kanten wie Arbeit­nehmer eingesetzt

Weil der Begriff Praktikum rechtlich so vage ist, gibt es darunter viele Schein-Lernver­hältnisse. „Ich schätze, dass außerhalb der von den Ausbil­dungs­gängen verpflichtend vorgesehenen Praktika ein sehr großer Teil der Prakti­kanten wie Arbeit­nehmer eingesetzt werden. Sie bekommen aber nicht den gleichen Lohn“, sagt die Kölner Rechts­an­wältin Oberthür. Hier könne sich möglicherweise aus Gleich­be­hand­lungs­grund­sätzen ein höherer Lohnan­spruch ergeben.

Steht das Gehalt eines Prakti­kanten in krassem Missver­hältnis zur Arbeits­leistung, handelt es sich zudem um Lohnwucher. Lohnklagen können auch nachträglich noch erhoben werden. „Ich habe in meiner Praxis aber noch nie erlebt, dass ein Praktikant auf Lohn geklagt hat“, sagt Oberthür.

Gericht: "Schein-Prakti­kanten" haben Recht auf vollen Lohn

Eine Prakti­kanten bekam 2016 vor Gericht Recht: Das Landes­ar­beits­gericht Berlin-Brandenburg stellte fest, dass ihr Praktikum eigentlich ein echtes Arbeits­ver­hältnis war (Entscheidung vom 20. Mai 2016, AZ: 6 Sa 1787/15). Die Frau hatte ihr Studium absolviert und wurde bei einem Verlag für ein Jahr mit einem „Prakti­kanten-Vertrag“ eingestellt. Sie musste den Weisungen eines Mitarbeiters folgen und in einem Großraumbüro redaktionelle Arbeiten erledigen. Statt der tariflichen 3.000 Euro pro Monat erhielt sie lediglich 400 Euro.  Nur wenn der Ausbil­dungszweck überwiege, handele es sich um ein echtes Praktikum, sagte das Gericht. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Es sprach der Frau den Differenz­betrag von rund 20.000 Euro zu.

Recht auf ein Zeugnis

Selbst Prakti­kanten, die einen Vertrag unterschrieben haben, sind nicht vor Ausbeutung geschützt. Dennoch ist ein Vertrag nützlich, wenn es darum geht, die eigenen Rechte durchzu­setzen. „Prakti­kanten haben kein Recht auf einen Vertrag. Sie sollten aber mit dem Arbeitgeber einen Vertrag aushandeln, damit sie sich im Fall des Falles darauf berufen können“, erklärt Florian Haggen­miller. Der Vertrag sollte zum Beispiel die Arbeits­zeiten, das Gehalt und die Inhalte der Tätigkeit regeln.

Um diese Tätigkeiten zu dokumen­tieren, sollten sich Prakti­kanten von ihrem Arbeitgeber ein Prakti­kums­zeugnis ausstellen lassen. Schließlich soll es helfen, ihnen die Tür in ihren Wunsch-Job zu öffnen. Paul Schneider aber wartet bereits seit über einem Jahr vergeblich auf sein Prakti­kums­zeugnis. Dabei steht ihm laut Gesetz aber mindestens ein einfaches Zeugnis zu.

Datum
Aktualisiert am
14.08.2018
Autor
ime/dpa/red
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