
Bildungsgerechtigkeit – Ideal und Herausforderung
In der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurde 1948 von den Vereinigten Nationen anerkannt, dass das Recht auf Bildung ein grundlegendes Recht ist, das allen Menschen zusteht. Grund der Erklärung ist das Verständnis von Bildung als Abbau sozialer Ungleichheiten, der Voraussetzung funktionaler Demokratien, sowie die Entfaltung jedes Menschen im Sinne seiner Talente und Fähigkeiten. Betrachtet man Meinungsstudien zum Thema Bildungsgerechtigkeit, zeichnet sich jedoch oft ein anderes Bild. So ergab eine repräsentative Umfrage bei 14-21 Jährigen in Deutschland aus dem Jahr 2022 etwa, dass lediglich ein Drittel (32%) der Auffassung ist, alle Kinder hätten unabhängig ihrer sozialen und kulturellen Herkunft die gleichen Chancen auf eine gute Ausbildung. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeichnet in ihrem Bildungsbericht von 2024 ein ernüchterndes Bild über Deutschland: 16 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 25 und 34 haben keinen Schulabschluss und machen Deutschland damit erneut zum unteren Teil der Rangliste.
(Lesen Sie hier: Fehlender Schulbesuch gefährdet das Wohl von Kindern.)
Anwaltauskunft.de fasst im im Folgenden diverse Urteile zum Thema Bildung zusammen, um rechtliche Aspekte aus unterschiedlichen Fällen zu verdeutlichen.
Barrierefreiheit: Behörde muss Taxi für Schüler zahlen
Im Mittelpunkt des Gerichtsverfahrens von 2023 (14 ME 124/23, 15.12.2023) stand ein Schüler mit Asperger-Syndrom, der aufgrund seiner Erkrankung Schwierigkeiten hatte, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Konkret litt der Schüler unter starken Angstzuständen und Panikattacken in überfüllten Räumen. Weil die zuständige Behörde die Kostenübernahme für das Taxi verweigerte, ging der Fall vor Gericht.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg bestätigte in seinem Urteil die Rechtmäßigkeit der Gewährung von Taxi-Kosten für den Schüler. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Behinderung des Schülers so schwerwiegend sei, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel für ihn unzumutbar wäre. Die Angstzustände und Panikattacken, unter denen der Schüler leide, stellten eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Teilhabe am schulischen Leben dar. Der Fall des Schülers verdeutlicht, dass das Recht auf Bildung auch das Recht auf einen barrierefreien Zugang zur Schule beinhaltet.
(Behindertes Kind: Wer trägt die Kosten für den Schulbegleiter?)
Klassenzimmer: Kein Anspruch auf ausgeglichene Verteilung nichtdeutscher Schüler
Das Verwaltungsgericht Berlin hat in seinem Urteil von 2013 entschieden, dass Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunft keinen Anspruch darauf haben, in bestimmten Klassen zusammengelegt zu werden (3 K 269.12, 26.09.2013). Das Gericht argumentierte, dass eine Zusammenlegung von Schülern aufgrund ihrer Herkunft zu einer Stigmatisierung führen könnte und gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen würde. Eine solche Maßnahme würde zudem den Integrationswillen untergraben. Das Urteil zeigt: eine homogene Klassenzusammensetzung ist nach Herkunft nicht rechtlich durchsetzbar. Vielmehr ist eine individuelle Förderung jedes Schülers unabhängig von seiner Herkunft das Ziel. Das Gericht betont die Bedeutung der Vielfalt in der Schule und die Notwendigkeit, Vorurteile abzubauen.
(Kind kommt in die Schule: Rechtsfragen zur Einschulung und Umschulung)
Bürgergeld: Kosten für Schulbücher müssen als Mehrbedarf übernommen werden
Schulmaterialien sind teuer, aber wichtig. Bereits im Urteil von 2019 (08.05.2019, B 14 AS 13/18 R) entschied das Bundessozialgericht, dass Schulbücher vom Jobcenter bezahlt werden müssen. Jedenfalls dann, wenn es um Lernmaterialien geht, die nicht kostenlos zur Verfügung gestellt werden (so genannte Lernmittelfreiheit). Die Kosten für die Bücher können als Mehrbedarf geltend gemacht werden. So steht es im Gesetz zum Bürgergeld: „Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen“, (§ 21 Abs. 6a SGB II).
Bildung ist nicht nur Recht, sondern auch Pflicht
In Deutschland obliegen die Regelungen zur Schulpflicht bei den Bundesländern. Die Dauer liegt dabei zwischen 9-12 Jahren. Das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche nicht frei entscheiden können, ob sie die Schule besuchen oder nicht. Ein aktuelles Urteil aus dem Jahr 2023 (10 K 4208/21, 17.05.2023) verdeutlicht dies.
(Schulpflicht: Entscheidung obliegt nicht dem Kind)
Lieber auf Sportkarriere fokussieren: Gericht weist Befreiung von Schulpflicht ab
Ein junger, talentierter Schachspieler beantragte bei der Bezirksregierung Köln die Befreiung von der Schulpflicht, um sich voll und ganz auf seine Schachkarriere konzentrieren zu können. Das Gericht wies den Antrag auf direkte Befreiung ab, da der Spieler noch nicht genug schulische Bildung abgeschlossen hatte. Da half auch nicht der Hinweis, dass der Schüler im Kader des Deutschen Schachbundes spiele.
(Was dürfen Schulen und Lehrer ihren Schülern verbieten?)
Weigerung, Kind in Schule zu schicken: Haftbefehle gegen Mütter
Dass die Durchsetzung der Schulpflicht durchaus ernst genommen wird, zeigt ein aktuelles Urteil aus Schleswig-Holstein (9 E 323, 9 E 4/23, 26.01.24). Das Verwaltungsgericht hat gegen zwei Mütter Haftbefehle erlassen, die ihre Kinder trotz mehrfacher Aufforderungen nicht zur Schule geschickt hatten. Das Gericht betonte die Bedeutung der Schulpflicht und die Notwendigkeit, diese durchzusetzen, selbst wenn andere Maßnahmen wie Zwangsgelder erfolglos geblieben sind. Angeordnet wurden drei Tage Ersatzzwanghaft.
Die Mütter hatten sich geweigert, ihre Kinder anzumelden bzw. zur Schule zu schicken, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet waren. Das Gericht sah in der Ersatzhaft die letzte Möglichkeit, die Schulpflicht durchzusetzen und das Wohl der Kinder zu schützen.
(Schule schwänzen – welche Strafen drohen?)
Ordnungsmaßnahmen: Auch für Fehlverhalten außerhalb der Schule möglich
„Ein häufig auftretendes Thema im schulischen Kontext sind Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen,“ erklärt Rechtsanwalt David-Joshua Petters (geb. Grziwa), Anwalt für Schul- und Hochschulrecht und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Forum Junge Anwaltschaft im Deutschen Anwaltverein (DAV). „Dabei sind private Klassenchats, Schulwege oder benachbarte Schulen oft zentrale Ausgangspunkte für Fehlverhalten von Schülerinnen oder Schülern.“
Der Rechtsanwalt betont: „Auch wenn etwas außerhalb der Schule und Unterrichtszeit passiert, kann es ein schulischer Vorfall sein. Dann nämlich, wenn das Geschehene einen engen Zusammenhang zur Schule hat. Dieser Zusammenhang kann räumlich sein (z.B. in der Nähe der Schule), zeitlich (z.B. kurz vor oder nach dem Unterricht) oder personell (z.B. zwischen Schülern).“
Ähnlich wie bei einem Gerichtsverfahren müsse die Schule bei Fehlverhalten zunächst den Sachverhalt klären. Hierfür dürften Schüler auch ohne Anwesenheit ihrer Eltern befragt werden. Es reiche aus, wenn die Schule eine begründete Überzeugung vom Fehlverhalten gewinnt; eine absolute Gewissheit sei nicht erforderlich. „Im erzieherisch-pädagogischen Kontext sind Schüler nicht erst ab dem Alter von 14 Jahren für ihr Fehlverhalten verantwortlich,“ warnt Rechtsanwalt Petters, „ein Kind sollte grundsätzlich nicht zurückschlagen, sondern sich an eine Aufsichtsperson wenden.“
Ordnungsmaßnahmen, Prüfungsanfechtungen, Gastschulanträge und die richtige Beschulung für Kinder mit Beeinträchtigungen seien die häufigsten Anliegen im Schulkontext, fasst Petters zusammen.
Bildung einfordern: Wann Rechtsbeistand sinnvoll ist
Anwältinnen und Anwälte spielen eine entscheidende Rolle dabei, Bildung einzufordern und sicherzustellen, dass das Recht auf Bildung für alle gewährleistet ist. Einige Beispiele, in denen rechtlicher Beistand helfen kann:
- Schulwechsel: Wenn ein Kind aus bestimmten Gründen die Schule wechseln möchte, kann ein Anwalt helfen, diesen Anspruch durchzusetzen. Große Relevanz spielen hierbei Gastschulanträge. Es kann zunächst anwaltlich geprüft werden, ob die Voraussetzungen überhaupt vorliegen, bevor ein Antrag mit unzureichenden Gründen gestellt wird.
- Inklusion: Anwälte vertreten die Interessen von Kindern mit Beeinträchtigungen, um sicherzustellen, dass sie inklusiv beschult werden und alle notwendigen Unterstützungsmaßnahmen erhalten.
- Sonderpädagogische Förderung: Bei Bedarf können Eltern dabei unterstützt werden, die notwendige sonderpädagogische Förderung für ihr Kind einzufordern.
- Diskriminierung: Bei Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Religion, Geschlecht oder anderen Gründen können rechtliche Schritte eingeleitet werden.
- Schulische Leistungen: Bei ungerechtfertigten Noten oder anderen Entscheidungen, die die Bildungschancen beeinträchtigen, können diese angefochten werden (Prüfungsanfechtung).
- Ordnungsmaßnahmen: Bei der Bestrafung von Fehlverhalten kann ein Anwalt für ein faires Verfahren sorgen und Maßnahmen auf ihre Verhältnismäßigkeit prüfen.
- Mobbing: Geht die Schule nicht ausreichend gegen Mobbing vor, kann ein Anwalt rechtliche Schritte einleiten.
- Schulgebühren: In bestimmten Fällen können unrechtmäßige Schulgebühren zurückgefordert werden.
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- Datum
- Aktualisiert am
- 10.02.2025