
Was für Angestellte an wissenschaftlichen Einrichtungen weit verbreitet ist, betrifft auch immer mehr Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft: Arbeitsverträge werden immer wieder befristet verlängert. Gesetzliche Regelungen sollen Kettenbefristungen zwar erschweren. Für die Wissenschaft gelten aber andere Regeln als für Wirtschaftsunternehmen.
Befristete Arbeitsverträge keine Ausnahme mehr
Arbeitsverträge auf Zeit sind längst keine Ausnahme mehr. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsbildung (IAB) ist der Anteil befristeter Neueinstellungen zwischen 2001 und 2011 von 32 auf 45 Prozent gestiegen. Immer wieder kommt es dabei auch zu Mehrfach-Befristungen – den sogenannten Kettenbefristungen.
Fall Helffenstein: Post bietet unbefristeten Vertrag nach 88 Zeitarbeitsverträgen
Fälle von Kettenbefristung beschäftigen immer wieder die Gerichte. So der Fall der Post-Angestellten Anja Helffenstein. Von 1997 bis April 2014 hangelte sich Helffenstein von einem befristeten Arbeitsverhältnis zum nächsten. Nach 17 Jahren und insgesamt 88 Zeitarbeitsverträgen wurde die Post-Zustellerin entlassen. Als Grund sei ihre zweieinhalbwöchige Krankheit im Januar genannt worden, der Niederlassungsleiter in Lübeck habe sie als untragbar bezeichnet, berichtete Helffenstein.
Da war ihre Geduld am Ende. Die Frau aus Wittenburg (Mecklenburg-Vorpommern) klagte vor dem Arbeitsgericht Schwerin auf eine Festanstellung – mit Erfolg. Bei einem Gütetermin bot die Deutsche Post AG der 41-Jährigen schließlich einen unbefristeten Arbeitsvertrag an.
Kettenbefristung: Mit Sachgrund erlaubt
Kettenbefristungen sind nach dem Gesetz in zwei Fällen erlaubt: Der Arbeitgeber kann ein Arbeitsverhältnis ohne Angabe eines Grundes bis zu zwei Jahre befristen (Paragraf 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz). Innerhalb dieser zwei Jahre darf er den Arbeitsvertrag bis zu dreimal verlängern. So kann er zum Beispiel zunächst einen Arbeitnehmer für sechs Monate einstellen, und dann einen Anschlussvertrag erneut auf sechs Monate befristen.
Daneben gibt es - wie bei Helffenstein - die Befristung mit Sachgrund. „Diese Zeitverträge kann der Arbeitgeber im Prinzip unendlich oft machen“, erläutert Hans-Georg Meier, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin. Es kann zum Beispiel sein, dass der Arbeitgeber Personal nur für eine Schwangerschafts- oder Elternzeitvertretung oder für ein bestimmtes Projekt braucht.
So war es bei Helffenstein. Sie bekam Verträge mit Laufzeiten von zwei oder vier Wochen, manchmal auch drei oder sechs Monaten. „Mal war es eine Urlaubsvertretung, mal eine Krankheitsvertretung“, zählt sie auf. Immer wieder hat sie nachgefragt, ob es möglich sei, irgendwann eine Festanstellung zu bekommen. Doch dann hieß es: „Es sind keine festen Stellen frei.“ Sie fand sich damit ab. „Ich habe einfach immer gehofft, dass es weiter geht.“
Gesetzgeber hat Kettenbefristung inzwischen Grenzen gesetzt
Doch auch wenn das Gesetz Kettenbefristungen grundsätzlich erlaubt, seien Mitarbeiter nicht ganz ohne Rechte, sagt Prof. Björn Gaul, ebenfalls Fachanwalt für Arbeitsrecht. „Die Rechtsprechung hat den Kettenbefristungen inzwischen Grenzen gesetzt.“ Danach seien sie immer dann unzulässig, wenn in der wiederholten Befristung rechtsmissbräuchliches Verhalten zu sehen ist.
Wissenschaft und Kunst: Lockerere Regeln für Kettenbefristung
Wann ein Rechtsmissbrauch gegeben ist, bestimmten die Gerichte im Einzelfall. Ein Indiz für Rechtsmissbrauch sei, wenn Arbeitnehmer länger als vier Jahre bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind und bereits mehr als sechs Verlängerungen bekommen haben, erläutert Prof. Gaul. Wenn der Arbeitgeber keine Gründe für die Notwendigkeit einer erneuten Befristung vortragen könne, sei die Chance für Mitarbeiter groß, vor Gericht eine Entfristung ihres Vertrags zu erstreiten.
Einige Berufsgruppen sind von dieser Regelung aber ausgeschlossen. „Dazu zählen Angestellte im Bereich Kunst, Wissenschaft und Presse“, sagt Rechtsanwalt Meier. Hier können Kettenbefristungen auch über diese Grenzen hinaus erlaubt sein.
BAG: Auch Kettenbefristung mit Sachgrund kann unwirksam sein
In einem Fall aus dem Hochschulumfeld hat kürzlich das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. Die Klägerin war von September 1989 bis Oktober 2011 in befristeten Arbeitsverhältnissen durchgängig an der Universität Leipzig beschäftigt gewesen. In dieser Zeit promovierte und habilitierte die Klägerin. Die Befristung der letzten beiden Arbeitsverträge war auf den Sachgrund der Drittmittelfinanzierung gestützt. Gegen die letzte Befristung klagte die Angestellte.
Die Richter des BAG gaben allerdings dem Arbeitgeber Recht. Ein erheblicher Zeitraum der befristeten Beschäftigung habe der wissenschaftlichen Qualifizierung der Klägerin gedient. Allerdings konnten die Richter nicht abschließend beurteilen, ob die Befristung aufgrund der Drittmittelfinanzierung gerechtfertigt war.
Denn eine Befristung könne, so die Richter weiter, im Einzelfall auch dann nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam sein, wenn ein Sachgrund vorliegt. Das gelte auch für den Hochschulbereich, wenn die Befristung an die Drittmittelfinanzierung gebunden ist. Solche Fälle könnten zum Beispiel ein Arbeitsverhältnis mit sehr langer Gesamtdauer und/oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sein. Die Richter des BAG verwiesen den Fall zur weiteren Sachaufklärung an die Vorinstanz zurück.
Von Kettenbefristung betroffen? Schnell aktiv werden
Wer selbst von einer Kettenbefristung betroffen ist, sollte vor allem eins beachten: Um vor Gericht die Entfristung zu erstreiten, ist nicht viel Zeit. Die Klage muss spätestens drei Wochen nach dem Ende des Arbeitsvertrags bei Gericht eingegangen sein, erklärt Prof. Gaul. Wird sie später eingereicht, ist sie unzulässig. Zudem ist es sinnvoll, sich von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin für Arbeitsrecht beraten zu lassen
Befristung manchmal von vorneherein unzulässig
In manchen Fällen ist die Befristung auch von vorneherein unzulässig. Fangen Beschäftigte zum Beispiel an zu arbeiten, ohne dass sie ihren Arbeitsvertrag unterschrieben haben, sind sie in einer für sie vorteilhaften Situation. In dem Fall gilt der Arbeitsvertrag als unbefristet, sagt Prof. Gaul. Ein Beispiel: Wer am Montag seinen ersten Arbeitstag hat, den Vertrag aber erst am zweiten oder dritten Tag unterschreibt, gilt als unbefristet eingestellt.
- Datum
- Aktualisiert am
- 08.06.2016
- Autor
- dpa/red