Abwechslung im Job ist nicht selten von Vorteil: andere Aufgaben, andere Ansprechpartner und Kollegen, mitunter auch neue Motivation. Anders sieht es aber oft aus, wenn Arbeitnehmer vor vollendete Tatsachen gestellt werden, wenn die Vorgesetzten über den Kopf des Mitarbeiters entscheiden – und ihn versetzen.
So sich die Versetzung auf die Abteilung bezieht, ist sie wohl zu verkraften – zumindest gemessen an weitreichenderen Schritten. Denn auch die Versetzung in eine andere Stadt oder sogar ins Ausland ist möglich. Hierbei ist der Arbeitsvertrag entscheidend.
Direktionsrecht gibt Chefs weitreichende Befugnisse
Dem Arbeitgeber obliegt das sogenannte Direktionsrecht, auch Weisungsrecht genannt. Es meint allgemein, dass der Arbeitgeber im Rahmen der im Arbeitsvertrag festgelegten Bestimmungen die Ausführung der Arbeitsleistung konkretisieren darf. Im Umkehrschluss bedeutet das: Je weniger im Arbeitsvertrag geregelt ist, etwa bezogen auf den Arbeitsinhalt, umso mehr Gestaltungsmöglichkeiten hat der Arbeitgeber.
„In der Praxis sind in Tätigkeitsbeschreibungen in Arbeitsverträgen nicht allzu weit gefasst“, schränkt aber die Frankfurter Rechtsanwältin Dr. Doris-Maria Schuster ein. Sie ist im Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) und kennt die Gründe dafür aus eigener Erfahrung.
Denn Arbeitgeber müssten bei der Formulierung der Arbeitsverträge abwägen: Formulieren sie die Arbeitsinhalte zu allgemein, würden sie sich zwar Spielraum bei Versetzungen schaffen, schränkten sich gleichzeitig aber ein, sollten sie betriebsbedingt kündigen müssen. Eine saubere Sozialauswahl sei dann nahezu unmöglich.
Nichtsdestotrotz: Vorgesetzte können Versetzungen anordnen, solang sie nicht dem Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung oder eines anwendbaren Tarifvertrags widersprechen. Geregelt ist dies in § 106 der Gewerbeordnung.
BAG: Mitarbeiter müssen nicht immer Folge leisten
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 14. Juni 2017 in einem Fall von Versetzung vorläufig zugunsten des Arbeitnehmers entschieden (AZ: 10 AZR 330/16). Die Entscheidung hat womöglich Auswirkungen auf tausende Arbeitnehmer in Deutschland.
In dem Fall ging es um einen Immobilienkaufmann, der für ein halbes Jahr von Dortmund nach Berlin versetzt wurde. Er weigerte sich allerdings, seine Stelle in Berlin anzutreten. Daraufhin wurde er zwei Mal abgemahnt und dann fristlos entlassen. Dagegen klagte er.
Bislang galt: Arbeitnehmer müssen der Weisung ihres Chefs Folge leisten – andernfalls drohen Abmahnung und Kündigung. Das gilt solange, bis ein Gerichtsurteil bestätigt hat, dass der Arbeitgeber die Weisung nicht ausführen muss, zum Beispiel weil sie unbillig ist. Das geht aus einem Urteil des 5. Senat des BAG von 2012 hervor (Urteil vom 22.02.2012, AZ: 5 AZR 249/11).
Im Fall des Immobilienkaufmanns gaben die ersten Instanzen allerdings dem Arbeitnehmer Recht: Er sei nicht verpflichtet gewesen, in der Hauptstadt zu arbeiten. So war das Landesarbeitsgericht Hamm der Ansicht, dass Arbeitnehmer nicht an unbillige Weisungen gebunden sind. Eine solche Regelung führe zu einem zu hohen Risiko für den Arbeitnehmer. Der 10. Senat des BAG schloss sich dem an. Er hat deshalb beim 5. Senat angefragt, ob er bei seiner Rechtsprechung bleiben will. Werden sich die beiden nicht einig, muss der Große Senat entscheiden, was künftig gilt. Über die Kündigung des Immobilienkaufmanns muss nun gesondert entschieden werden.
Versetzung muss im „billigen Ermessen“ geschehen
Hier heißt es zudem, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung näher bestimmen darf, solange dies im „billigen Ermessen“ geschieht.
Das ist ein wichtiger Zusatz, denn er meint, dass stets abgewogen werden muss zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an einer Versetzung und denen des Arbeitnehmers beziehungsweise der Interessen der Arbeitnehmer untereinander.
Keine Fristen bei Versetzungen – aber Berücksichtigung des Zumutbaren
Grundsätzlich sind Versetzungen innerhalb eines Standorts aus Arbeitgebersicht leichter durchzusetzen als jene, die einen anderen Arbeitsort mit sich bringen. Zumindest dann, wenn die neue Position mit der vorherigen vergleichbar ist. Arbeitsrechtsexpertin Schuster: „Streit kann es beispielsweise dann geben, wenn ein Arbeitnehmer zuvor Personalverantwortung innehatte, auf der neuen Position davon aber keine Spur mehr ist.“ Auch darf mit einer Versetzung keine geringe Bezahlung einhergehen.
Festgelegte Fristen gibt es dabei nicht. „Auch hier muss das billige Ermessen berücksichtigt werden“, sagt Doris-Maria Schuster. Wer einen Mitarbeiter 200 Kilometer weit weg schicken möchte, sollte ihm dies also früher mitteilen, als wenn es nur um eine andere Abteilung geht.
Sonderfall Betriebsrat: Andere Regeln, andere Fristen
Diese Fragen gestalten sich etwas anders, wenn es im betreffenden Unternehmen einen Betriebsrat gibt. Dieser muss bei Versetzungen immer angehört werden und kann sich eine Woche Zeit lassen, um sich mit dem Thema zu befassen.
Das regelt § 95 des Betriebsverfassungsgesetz und hat das Bundesarbeitsgericht in einem Beschluss im Jahr 2000 noch einmal betont (AZ: 1 ABR 5/99).
Interessensabwägung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber: Das sagen die Gerichte
Da eine Interessensabwägung knifflig sein kann, landen Versetzungsversuche immer wieder auch auf den Schreibtischen deutscher Richter. Drei beispielhafte Entscheidungen:
- Landesarbeitsgericht Hessen (AZ: 11 Sa 296/06): Arbeitnehmer müssen eine Versetzung über eine Entfernung von 300 Kilometern nicht hinnehmen. Im August 2007 gab das Gericht damit der Klage einer Sachbearbeiterin statt, die nach einer mehrjährigen Elternzeit und dem zwischenzeitlichen Umzug ihres Arbeitgebers künftig vom Rhein-Main-Gebiet ins Ruhrgebiet pendeln sollte. Im August 2010 entschied in gleicher Weise bei einem ähnlichen Fall auch das höchste deutsche Arbeitsgericht, das Bundesarbeitsgericht (AZ: 10 AZR 275/09).
- Landesarbeitsgericht Köln (AZ: 7 Sa 537/13): Interessen von Arbeitnehmern dürfen nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werden. Der Kläger war als Stammfahrer für Tankwagen nach vielen krankheitsbedingten Fehltagen in den Springerpool versetzt worden, was gleichbedeutend mit einem unregelmäßigeren Schichteinsatz ist. Das Gericht gab dem Kläger Recht.
- Bundesarbeitsgericht (AZ: 9 AZR 433/06): Formulararbeitsverträge, in denen sich Arbeitgeber vorbehalten, Mitarbeiter entsprechenden seinen Leistungen und Fähigkeiten mit einer anderen Tätigkeit zu betrauen oder an einem anderen Ort zu beschäftigen, sind erlaubt. Im März 2007 verkündete das BAG diese Entscheidung.
Rechtswidrige Versetzung: Anspruch auf Schadensersatz für Zweitwohnung und Pendeln
Bei rechtswidrigen Versetzungen an andere Arbeitsstellen innerhalb des Unternehmens können Arbeitnehmer Anspruch auf Schadensersatz haben. Das Landesarbeitsgericht in Frankfurt am Main hat einen Arbeitgeber verurteilt, seinem Mitarbeiter nach einer unwirksamen Versetzung Schadensersatz zu zahlen (Entscheidung vom 10. November 2017, AZ: 10 Sa 964/17), wie die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht des DAV informiert. Der Arbeitnehmer bekam die Kosten für eine Zweitwohnung und eines Teils der Heimfahrt erstattet sowie ein Tagegeld.
Was betroffene Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen tun können
Ist eine Versetzung unwirksam, könnten Betroffene theoretisch ihre Arbeit auch im Rahmen ihres Leistungsverweigerungsrecht verweigern. Davor rät Rechtsanwältin Schuster aber dringend ab: „Ehe nicht abschließend geklärt ist, ob die Versetzung nicht doch rechtens ist, sollten Arbeitnehmer ihre neue Arbeit ausüben.“ Andernfalls drohe die fristlose Kündigung.
Versetzt und unglücklich? Was ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin in diesem Fall für Arbeitnehmer tun kann
Arbeitnehmer, die versetzt werden sollen, das aber nicht in ihrem Interesse ist und auch ein Gespräch mit dem Vorgesetzten kein für beide Seiten zufriedenstellendes Ergebnis brachte, sollten sich an einen Anwalt oder eine Anwältin wenden. Das ist allein schon deshalb wichtig, um sich Rat einzuholen, welches Vorgehen das Richtige ist. Wie darf man sich verhalten, ohne Gefahr zu laufen, gekündigt zu werden? Gibt es einen Betriebsrat und wann kann man den einschalten?
Idealerweise lässt sich dann ein Prozess vermeiden. Ist dem nicht so, braucht es ohnehin anwaltliche Unterstützung. Steht die Versetzung unmittelbar bevor, kann ein Rechtsbeistand zudem versuchen, im Rahmen einer einstweiligen Verfügung eine vorläufige Entscheidung des Arbeitsgerichts herbeizuführen.
Aber auch Arbeitgeber sind gut beraten, sich zumindest bei absehbar problematischen Versetzungen anwaltlichen Rat zu holen. Meist geschehen Versetzungen ja nicht aus böser Absicht, sondern werden aus sachlichen Gründen notwendig. Anwälte sind auch hier beratend tätig, um das richtige Timing zu wählen, um auszuloten, inwiefern es Alternativen gibt und welche Zusatzleistungen dem Arbeitnehmer angeboten werden könnten – etwa die Bezahlung der Unterkunft in einer neuen Stadt während einer Übergangszeit.
Entscheidend ist auch hier: Rechtsanwälte und –anwältinnen haben ein großes Interesse daran, gemeinsam mit ihren Mandanten einen Rechtsstreit zu verhindern. Sollte Sie das Thema betreffen, finden Sie in unserer großen Anwaltssuche fachkundige Arbeitsrechtsexpertinnen und –experten.
- Datum
- Aktualisiert am
- 07.03.2019
- Autor
- ndm,DAV