Jobcenter schauen sehr genau darauf, über welches Einkommen Hartz-IV-Empfänger verfügen. Manchmal rechnen die Jobcenter dabei auch die Betriebsverpflegung sogenannter Aufstocker als Einkommen. Doch wenn diese die Verpflegung gar nicht verzehren, darf sie auch nicht angerechnet werden. Andernfalls würde in die Entscheidungsfreiheit des Betroffenen unzulässig eingegriffen werden, hat das Sozialgericht Berlin in einem Fall entschieden.
Betriebsverpflegung auf Hartz-IV-Anspruch anrechnen?
In dem von der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitgeteilten Fall arbeitet die 1969 geborene Frau als Verkäuferin bei einem Berliner Betrieb für Fleisch- und Wurstwaren. Als Aufstockerin erhielt sie zusammen mit ihrem Kind vom Jobcenter Reinickendorf ergänzende Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Hartz IV").
Auf den ALG II-Anspruch rechnete das Jobcenter allerdings nicht nur das ausgezahlte Einkommen von monatlich rund 1.000 Euro an, sondern entsprechend den Vorgaben der ALG II-Verordnung auch eine Pauschale für die Pausenverpflegung. Diese stellte der Arbeitgeber seinen Angestellten zur Verfügung. Der monatliche Wert lag zwischen rund 35 und 50 Euro.
Mit ihrer Klage wandte sich die Frau gegen die Anrechnung der Verpflegungspauschale. Sie wies darauf hin, dass sie die zur Verfügung gestellten Speisen gar nicht gegessen habe. Aus gesundheitlichen Gründen habe sie viel abgenommen und sehr auf ihre Ernährung geachtet. Das Essen – viel Fleisch, Wurst, Salate mit Mayonnaise – sei jedoch sehr fett und kohlenhydratreich gewesen. Dass trotzdem eine Pauschale angerechnet werde, verletze sie in ihren Persönlichkeitsrechten.
Entscheidungsfreiheit von Hartz-IV-Empfängern betroffen
Die entsprechende Vorschrift der ALG II-Verordnung zur Anrechnung von Verpflegung verstößt nach Ansicht des Gerichts gegen höherrangiges Recht. Sie beachte nicht, dass nach dem Grundprinzip der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) eine Pauschalleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gewährt werde (die sogenannte Regelleistung).
Eine aufwendige individuelle Bedarfsermittlung ist daneben weder zugunsten noch zulasten der Leistungsempfänger vorgesehen. Die pauschale Regelleistung solle gerade die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Hilfeempfänger fördern. Bedürfnislosigkeit dürfe nicht zum Leistungsentzug führen. Das Gericht stellt also die Regelung insgesamt in Frage.
Selbst aber wenn man die Gültigkeit der Vorschrift unterstellte, müsste sie einschränkend ausgelegt werden. Unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts und der allgemeinen Handlungsfreiheit der Leistungsbezieher könne eine Anrechnung von Verpflegung nur erfolgen, wenn sie auch tatsächlich verzehrt werde. Rechne das Jobcenter einfach grundsätzlich an, sei die grundrechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit betroffen.
Es muss nach Ansicht des Gerichts eben respektiert werden, wenn Leistungsempfänger auf angebotene Verpflegung verzichteten. Dabei könnten die Gründe vielfältig sei, zum Beispiel aufgrund religiöser Speisevorschriften, aus gesundheitlichen oder ethisch-moralischen Gründen.
Sozialgericht Berlin am 23. März 2015 (AZ: S 175 AS 15482/14)
- Datum
- Aktualisiert am
- 23.12.2016
- Autor
- red/dpa