
Deutsche Anwaltauskunft: Herr Bauer, würde ein neuer Tarifvertrag für die GDL auch für die Lokführer gelten, die in der konkurrierenden Gewerkschaft EVG organisiert sind?
Jobst-Hubertus Bauer: Nein. Ein Tarifvertrag gilt grundsätzlich immer nur für die Arbeitnehmer, die Mitglied in der Gewerkschaft sind, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat. Allerdings plant die Bundesregierung ein neues Gesetz zur Tarifeinheit, nach dem bei einem Zusammentreffen mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb unter bestimmten Voraussetzungen der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern eines Betriebs gelten soll. Dies würde für diesen Fall bedeuten, dass die GDL sich gewissermaßen unterordnen müsste – denn die EVG hat deutlich mehr Mitglieder.
Anwaltauskunft: Kann ein Arbeitnehmer eines Betriebs in zwei Gewerkschaften sein, also der GDL und der EVG?
Bauer: Die Frage ist, ob für ein Arbeitsverhältnis zwei konkurrierende Tarifverträge aufgrund einer Doppelmitgliedschaft des Arbeitnehmers Anwendung finden können. Dieser Fall dürfte in der Praxis nur sehr selten vorkommen. Fälle der Tarifkonkurrenz sind nach dem Grundsatz der Spezialität aufzulösen. Entscheidend ist demnach, welcher Tarifvertrag für das betroffene Arbeitsverhältnis „am besten passt“.
Verschiedene Tarifverträge, verschiedene Regeln
Anwaltauskunft: Ganz generell: Wann gilt ein Tarifvertrag eigentlich?
Bauer: Dies hängt von der Art des Tarifvertrags ab. Ein Verbandstarifvertrag findet auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber Mitglied der vertragsschließenden Gewerkschaft bzw. des vertragsschließenden Arbeitgeberverbands sind. Ein Beispiel hierfür ist der Lohntarifvertrag für die Holzindustrie und Kunststoffverarbeitung in Baden-Württemberg.
Anwaltauskunft: Sie sprechen von mehreren Arten. Welche gibt es noch?
Bauer: Bei einem Firmentarifvertrag ist der Arbeitgeber selbst Vertragspartner. Daher genügt in diesem Fall die Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der jeweiligen Gewerkschaft. Darum geht es beim derzeitigen Konflikt zwischen der Bahn und der GDL. Ein Sonderfall ist die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags, die bewirkt, dass ein Tarifvertrag auch nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse erfasst. Doch werden diese Verträge immer seltener geschlossen.
Anwaltauskunft: Gibt es eine vorgegebene Laufzeit der verschiedenen Tarifverträge oder ist das Verhandlungssache?
Bauer: Die Laufzeit eines Tarifvertrags ist gesetzlich nicht vorgegeben, sondern Verhandlungssache. Entgelttarifverträge haben in der Praxis eine kurze Laufzeit. Manteltarifverträge, die die allgemeinen Arbeitsbedingungen regeln, werden dagegen längerfristig abgeschlossen.
Anwaltauskunft: Gibt es im Geltungsbereich Unterschiede, für welche Gruppe in einem Unternehmen ein Tarifvertrag gilt? Also etwa für Beamte und Angestellte?
Anwaltauskunft: Die GDL organisiert sich jedoch nicht unter dem Dach des DGB.
Bauer: Genau. Die GDL ist wie die Vereinigung Cockpit nach dem Berufsverbandsprinzip organisiert. Bestimmte Berufsgruppen werden hier unabhängig von der Branchenzugehörigkeit zusammengefasst. Inzwischen nimmt die Anzahl dieser Gewerkschaften zu.
Im Streik zahlen die Gewerkschaften das Gehalt der Streikenden
Anwaltauskunft: Angenommen es kommt – wie vermehrt in den vergangenen Monaten – zu Streiks. Wer zahlt dann das Gehalt für die Streikenden?
Bauer: Nimmt ein Arbeitnehmer an einem rechtmäßigen Streik teil, ruhen in dieser Zeit die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht befreit ist, zugleich aber auch sein Anspruch auf Vergütung während der Dauer der Streikteilnahme entfällt. Arbeitnehmer, die Gewerkschaftsmitglied sind, erhalten von dieser in der Regel finanzielle Unterstützung für die Dauer des Streiks in Höhe von zwei Drittel des normalen Bruttomonatsgehalts.
Tarifeinheit wurde 2010 vom Bundesarbeitsgericht gekippt
Anwaltauskunft: 2010 kippte das Bundesarbeitsgericht den bisher geltenden Grundsatz der Tarifeinheit (AZ: 4 AZR 549/08), der vereinfacht gesagt besagte: ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Nun sind mehrere Tarifverträge in einem Unternehmen erlaubt. Ist dies für Unternehmen problematisch?
Bauer: Ja. Unternehmen haben ein Interesse daran, dass im Betrieb für denselben Regelungsgegenstand nur ein Tarifvertrag gilt. Diese Linie hat das BAG in seiner neueren Rechtsprechung verlassen. Mit dem oben angesprochenen Gesetzentwurf der Bundesregierung würde ein solches Nebeneinander mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb verhindert. Fraglich ist aber, ob der Gesetzesvorschlag der Bundesregierung verfassungsgemäß ist.
„Gewerkschaften wie die GDL sind zu mächtig“
Anwaltauskunft: Haben kleine Gewerkschaften, wie die GDL, Ihres Erachtens zu viel Macht?
Bauer: Nach meiner persönlichen Meinung: Ja. Gewerkschaften wie die GDL können dem Arbeitgeber im Arbeitskampf mit relativ geringem Aufwand großen finanziellen Schaden zufügen, so dass das Kräftegleichgewicht – die sogenannte Kampfparität – nicht mehrt gewahrt ist. Eine andere Frage ist, ob eine Beschränkung des Streikrechts von kleinen Gewerkschaften mit Art. 9 Abs. 3 unseres Grundgesetzes vereinbar ist.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
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- Datum
- Aktualisiert am
- 12.11.2014
- Autor
- ndm