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Streik-Zeit

Gewerk­schaften: Wann Tarifverträge gelten

Große Verhandlungsrunden und wenn es keine Einigung gibt, wird gestreikt. Tarifverhandlungen sind eine zähe Angelegenheit. © Quelle: Stockbyte/getttyimages.de

Der Streik der Gewerk­schaft Deutscher Lokführer (GDL) wurde zwar frühzeitig beendet – doch damit ist der Tarifkonflikt mit der Bahn noch nicht beigelegt. Arbeits­rechts­experte Rechts­anwalt Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer erklärt gegenüber der Deutschen Anwalt­auskunft, dass die Tarifeinheit 2010 gekippt wurde, wann und für wen Tarifverträge gelten – und warum er kleine Gewerk­schaften in Deutschland für zu mächtig hält.

Deutsche Anwalt­auskunft: Herr Bauer, würde ein neuer Tarifvertrag für die GDL auch für die Lokführer gelten, die in der konkur­rie­renden Gewerk­schaft EVG organisiert sind?

Jobst-Hubertus Bauer: Nein. Ein Tarifvertrag gilt grundsätzlich immer nur für die Arbeit­nehmer, die Mitglied in der Gewerk­schaft sind, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat. Allerdings plant die Bundes­re­gierung ein neues Gesetz zur Tarifeinheit, nach dem bei einem Zusammen­treffen mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb unter bestimmten Voraus­set­zungen der Tarifvertrag der Gewerk­schaft mit den meisten Mitgliedern eines Betriebs gelten soll. Dies würde für diesen Fall bedeuten, dass die GDL sich gewissermaßen unterordnen müsste – denn die EVG hat deutlich mehr Mitglieder.

Anwalt­auskunft: Kann ein Arbeit­nehmer eines Betriebs in zwei Gewerk­schaften sein, also der GDL und der EVG?

Bauer: Die Frage ist, ob für ein Arbeits­ver­hältnis zwei konkur­rierende Tarifverträge aufgrund einer Doppel­mit­glied­schaft des Arbeit­nehmers Anwendung finden können. Dieser Fall dürfte in der Praxis nur sehr selten vorkommen. Fälle der Tarifkon­kurrenz sind nach dem Grundsatz der Spezialität aufzulösen. Entscheidend ist demnach, welcher Tarifvertrag für das betroffene Arbeits­ver­hältnis „am besten passt“.

Verschiedene Tarifverträge, verschiedene Regeln

Anwalt­auskunft: Ganz generell: Wann gilt ein Tarifvertrag eigentlich?

Bauer: Dies hängt von der Art des Tarifvertrags ab. Ein Verbands­ta­rif­vertrag findet auf ein Arbeits­ver­hältnis Anwendung, wenn Arbeit­nehmer und Arbeitgeber Mitglied der vertrags­schlie­ßenden Gewerk­schaft bzw. des vertrags­schlie­ßenden Arbeit­ge­ber­verbands sind. Ein Beispiel hierfür ist der Lohnta­rif­vertrag für die Holzin­dustrie und Kunststoff­ver­ar­beitung in Baden-Württemberg.

Anwalt­auskunft: Sie sprechen von mehreren Arten. Welche gibt es noch?

Bauer: Bei einem Firmen­ta­rif­vertrag ist der Arbeitgeber selbst Vertrags­partner. Daher genügt in diesem Fall die Mitglied­schaft des Arbeit­nehmers in der jeweiligen Gewerk­schaft. Darum geht es beim derzeitigen Konflikt zwischen der Bahn und der GDL. Ein Sonderfall ist die Allgemein­ver­bind­li­ch­er­klärung eines Tarifvertrags, die bewirkt, dass ein Tarifvertrag auch nicht tarifge­bundene Arbeits­ver­hältnisse erfasst. Doch werden diese Verträge immer seltener geschlossen.

Anwalt­auskunft: Gibt es eine vorgegebene Laufzeit der verschiedenen Tarifverträge oder ist das Verhand­lungssache?

Bauer: Die Laufzeit eines Tarifvertrags ist gesetzlich nicht vorgegeben, sondern Verhand­lungssache. Entgelt­ta­rif­verträge haben in der Praxis eine kurze Laufzeit. Mantel­ta­rif­verträge, die die allgemeinen Arbeits­be­din­gungen regeln, werden dagegen länger­fristig abgeschlossen.

Anwalt­auskunft: Gibt es im Geltungs­bereich Unterschiede, für welche Gruppe in einem Unternehmen ein Tarifvertrag gilt? Also etwa für Beamte und Angestellte?

Bauer: Die Gewerkschaften sind nach zwei Prinzipien organisiert: Dem Industrieverbands- oder dem Berufsverbandsprinzip. Die Einzelgewerkschaften, die unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zusammengefasst sind, sind nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert. Danach kommt es für die Bestimmung des Geltungsbereichs eines Tarifvertrags auf die Zugehörigkeit des jeweiligen Betriebs zu einem bestimmten Wirtschaftszweigs an und nicht auf die Tätigkeit der Arbeitnehmer.

Anwalt­auskunft: Die GDL organisiert sich jedoch nicht unter dem Dach des DGB.

Bauer: Genau. Die GDL ist wie die Vereinigung Cockpit nach dem Berufs­ver­bands­prinzip organisiert. Bestimmte Berufs­gruppen werden hier unabhängig von der Branchen­zu­ge­hö­rigkeit zusammen­gefasst. Inzwischen nimmt die Anzahl dieser Gewerk­schaften zu.

Im Streik zahlen die Gewerk­schaften das Gehalt der Streikenden

Anwalt­auskunft: Angenommen es kommt – wie vermehrt in den vergangenen Monaten – zu Streiks. Wer zahlt dann das Gehalt für die Streikenden?

Bauer: Nimmt ein Arbeit­nehmer an einem rechtmäßigen Streik teil, ruhen in dieser Zeit die Hauptleis­tungs­pflichten aus dem Arbeits­ver­hältnis. Das bedeutet, dass der Arbeit­nehmer von seiner Arbeits­pflicht befreit ist, zugleich aber auch sein Anspruch auf Vergütung während der Dauer der Streik­teilnahme entfällt. Arbeit­nehmer, die Gewerk­schafts­mitglied sind, erhalten von dieser in der Regel finanzielle Unterstützung für die Dauer des Streiks in Höhe von zwei Drittel des normalen Brutto­mo­nats­gehalts.

Tarifeinheit wurde 2010 vom Bundes­ar­beits­gericht gekippt

Anwalt­auskunft: 2010 kippte das Bundes­ar­beits­gericht den bisher geltenden Grundsatz der Tarifeinheit (AZ: 4 AZR 549/08), der vereinfacht gesagt besagte: ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Nun sind mehrere Tarifverträge in einem Unternehmen erlaubt. Ist dies für Unternehmen proble­matisch?

Bauer: Ja. Unternehmen haben ein Interesse daran, dass im Betrieb für denselben Regelungs­ge­genstand nur ein Tarifvertrag gilt. Diese Linie hat das BAG in seiner neueren Rechtsprechung verlassen. Mit dem oben angespro­chenen Gesetz­entwurf der Bundes­re­gierung würde ein solches Nebeneinander mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb verhindert. Fraglich ist aber, ob der Gesetzes­vor­schlag der Bundes­re­gierung verfas­sungsgemäß ist.

Gewerk­schaften wie die GDL sind zu mächtig“

Anwalt­auskunft: Haben kleine Gewerk­schaften, wie die GDL, Ihres Erachtens zu viel Macht?

Bauer: Nach meiner persön­lichen Meinung: Ja. Gewerk­schaften wie die GDL können dem Arbeitgeber im Arbeitskampf mit relativ geringem Aufwand großen finanziellen Schaden zufügen, so dass das Kräfte­gleich­gewicht – die sogenannte Kampfparität – nicht mehrt gewahrt ist. Eine andere Frage ist, ob eine Beschränkung des Streik­rechts von kleinen Gewerk­schaften mit Art. 9 Abs. 3 unseres Grundge­setzes vereinbar ist.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Haben sie Streit aufgrund Ihres Tarifvertrags oder sonstige Arbeits­rechts­fragen? Dann wenden Sie sich an unsere Experten.

Datum
Aktualisiert am
12.11.2014
Autor
ndm
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2349
Themen
Arbeit­nehmer Gewerk­schaft Streik Tarifvertrag

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