
Der aktuelle Fehlzeitenreport des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigt: Beschäftigte melden sich immer häufiger krank. Inzwischen fehlt jeder Arbeitnehmer im Durchschnitt rund 19 Tage pro Jahr bei der Arbeit. Besonders oft liegt der Grund für die Arbeitsunfähigkeit in einer psychischen Erkrankung.
Arbeitnehmer: Muss man den Arbeitgeber über eine Erkrankung informieren?
Für Arbeitnehmer stellt sich oft die Frage, ob sie ihren Arbeitgeber über die Art ihrer Erkrankung informieren sollten. Gerade Arbeitnehmer, die lange krank sind, neigen zu dieser Offenheit - häufig in der Hoffnung, bei ihrem Arbeitgeber Verständnis für sich, ihre Erkrankung und ihre mitunter lange Arbeitsunfähigkeit zu wecken. Doch ist diese Offenheit klug? Und wie sieht die Rechtslage aus? Muss man den Arbeitgeber über eine Erkrankung informieren?
„Wer erkrankt, muss den Arbeitgeber zwar gleich am ersten Tag informieren, dass man krank ist und nicht zur Arbeit kommen kann“, sagt der Wiesbadener Rechtsanwalt Jakob T. Lange von der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). „Rechtlich sind Beschäftigte aber grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, gegenüber ihrem Arbeitgeber vorprozessual offenzulegen, an was sie erkrankt sind. Man sollte dies generell auch nicht tun.“
Denn ein offener Umgang mit einer Erkrankung könnte negative Folgen mit sich bringen, eine Stigmatisierung etwa. Gerade bei Süchten oder affektiven Störungen wie Depressionen ist eine Stigmatisierung des Arbeitnehmers zu befürchten. Nur in wenigen Ausnahmefällen sollte man den Arbeitgeber über eine Krankheit informieren (siehe Info-Box).
Krankheit verschwiegen: Arbeitgeber darf kündigen
Mitarbeiter, die ein Betriebsarzt wegen einer Krankheit als ungeeignet für eine bestimmte Aufgabe einstuft, müssen den Arbeitgeber darüber informieren. Verschweigen sie die Einschätzung des Betriebsarztes, droht ihnen eine Kündigung, wie die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt. Sie verweist auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln (AZ: 7 Sa 217/15).
Dem Gericht lag der Fall eines Mannes vor, der Lkw-Fahrer für Gefahrguttransporte war. Der Betriebsarzt stellte fest, dass es befristete gesundheitliche Bedenken gegen seinen Einsatz gibt. Diese Einschätzung verschwieg der Lkw-Fahrer seinem Arbeitgeber. Als dieser davon erfuhr, kündigte er dem Mitarbeiter fristlos. Dagegen klagte der Mann, hatte mit seiner Klage aber keinen Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht Köln verwies darauf, dass es einen schweren Arbeitsvertragsverstoß darstelle, wenn ein Arbeitnehmer das Ergebnis einer solchen Untersuchung dem Arbeitgeber verschweige. Gerade weil die Durchführung von Gefahrguttransporten eine stark gefahrgeneigte Tätigkeit sei, sei ein Mitarbeiter dazu verpflichtet, den Arbeitgeber über die Einschätzung des Betriebsarztes zu informieren. (Quelle: red/dpa)
Krankheitsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers: Wann muss man damit rechnen?
Abgesehen von einer Stigmatisierung könnten einem zu offenen Arbeitnehmer auch arbeitsrechtliche Nachteile drohen. Zwar ist eine Erkrankung als solche kein arbeitsrechtlich anerkannter Kündigungsgrund. Doch das sieht anders aus, wenn ihr zum Beispiel häufige Krankschreibungen und Fehltage folgen.
Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen verschiedenen Szenarien, die es einem Arbeitgeber erlauben könnten, einem Arbeitnehmer krankheitsbedingt zu kündigen:
- häufige, kurze Erkrankungen des Arbeitnehmers,
- dauernde Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers ohne Perspektive auf Besserung,
- eine langandauernde Erkrankung des Arbeitnehmers, bei der unklar ist, ob und wann sie geheilt werden wird.
Krankheitsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers: Was sind die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen?
Doch allein auf diese Kriterien kann sich ein Arbeitgeber nicht stützen, wenn er beabsichtigt, einem Beschäftigten krankheitsbedingt zu kündigen. „Der Arbeitgeber muss eine geplante Kündigung wegen Krankheit genau prüfen und sozial rechtfertigen“, sagt Rechtsanwalt Jakob T. Lange. „Dafür muss er ein dreistufiges Prüfungsschema einhalten.“
Krankheitsbedingte Kündigung: Wie sieht die künftige Gesundheitsprognose eines Arbeitnehmers aus?
Der erste Schritt in diesem Prüfungsschema ist, dass der Arbeitgeber sich vor einer geplanten Kündigung fragen muss, wie die Gesundheitsprognose des betroffenen Arbeitnehmers aussieht. Wenn der Arbeitgeber von einer negativen Gesundheitsprognose ausgeht, muss er diese allerdings belegen. „Das bedeutet: Es müssen objektive Tatsachen vorliegen, aus denen folgt, dass weitere Erkrankungen im bisherigen Umfang zu erwarten sind“, sagt der Arbeitsrechtsexperte Lange.
Ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer fehlt innerhalb von drei bis fünf Jahren jedes Jahr mehr als sechs Wochen. Von diesen regelmäßig auftretenden Krankschreibungen und Arbeitsunfähigkeiten könnte der Arbeitgeber auf die Zukunft schließen und von weiteren Fehltagen ausgehen. Das wiederum könnte eine negative Gesundheitsprognose mit sich bringen und eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen – es sei denn, der Arbeitnehmer kann beweisen, dass er voll einsatzfähig ist und künftig seltener fehlen wird.
Krankheitsbedingte Kündigung: Beeinträchtigt die Krankheit des Arbeitnehmers die Interessen des Arbeitgebers oder den Betriebsablauf?
Im zweiten Schritt des Prüfungsschemas muss der Arbeitgeber bei einer negativen Gesundheitsprognose prüfen, ob diese seine wirtschaftlichen oder betrieblichen Interessen einschränkt. „Dafür müssen die Fehlzeiten des kranken Arbeitnehmers die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers allerdings erheblich beeinträchtigen“, sagt Jakob T. Lange.
Das kann etwa dann sein, wenn der Betriebsablauf durch die Fehlzeiten gestört wird oder der Chef dem kranken Arbeitnehmer in außergewöhnlicher Höhe Entgelt fortzahlen muss.
Krankheitsbedingte Kündigung und Abwägung der Interessen: Lange betriebliche Zugehörigkeit oder kurze Anstellung?
Im dritten Prüfungsschritt muss der Arbeitgeber seine Interessen gegen die des kranken Arbeitnehmers abwägen. Dabei spielt auch die Dauer der betrieblichen Anstellung eine Rolle. Einem Arbeitnehmer, der schon lange in dem Betrieb arbeitet, schuldet ein Chef mehr Nachsicht als jemandem, der erst seit kurzer Zeit der Probezeit entwachsen ist.
Im Folgenden gehen wir auf weitere Aspekte krankheitsbedingter Kündigungen ein:
Beschäftigte: Kann man während einer Krankheit gekündigt werden?
Ja. Das ist möglich. Ein Arbeitnehmer kann auch während der Krankheit selbst gekündigt werden.
Muss ein Arbeitgeber den Betriebsrat vor einer Kündigung wegen Krankheit anhören?
Wenn es einen Betriebsrat im Unternehmen gibt: ja, unbedingt. Ansonsten ist die krankheitsbedingte Kündigung ungültig und damit anfechtbar.
Arbeitsrecht und Kündigungsschutz: Können Schwerbehinderte oder Schwangere wegen einer Krankheit gekündigt werden?
Für bestimmte Arbeitnehmergruppen sieht das Arbeitsrecht eingeschränkte Kündigungsmöglichkeiten vor: Vor der Kündigung eines Schwerbehinderten etwa muss der Arbeitgeber das Integrationsamt um Zustimmung bitten, erst mit dieser Zustimmung kann ein Chef die Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers wirksam aussprechen.
Auch für die Kündigung einer schwangeren oder sich im Mutterschutz befindlichen Arbeitnehmerin braucht ein Arbeitgeber nach dem Kündigungsschutzgesetz eine behördliche Zustimmung.
Dienstunfähig: Beamter kann nicht ohne Weiteres in den Ruhestand versetzt werden
Wird ein Beamter dienstunfähig, kann er in den Ruhestand versetzt werden. Es gilt jedoch der Grundsatz „Weiterverwendung vor Versorgung“. Der Dienstherr muss im Falle der Dienstunfähigkeit eines Beamten zunächst prüfen, ob dieser nicht anderweitig, gegebenenfalls auch in einem Amt einer anderen Laufbahn, eingesetzt werden kann. So hat das Verwaltungsgericht Trier am 14. Mai 2018 entschieden (Entscheidung, AZ: 6 K 12087/17.TR), wie die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht des DAV informiert.
Arbeitsrecht: Wie können Arbeitnehmer sich gegen eine krankheitsbedingte Kündigung wehren?
Wenn Betroffene gegen eine krankheitsbedingte Kündigung klagen wollen, müssen sie zügig reagieren. Denn ihnen bleiben nur drei Wochen Zeit nach Eingang der Kündigung, um eine Kündigungsschutzklage einzulegen. Diese Frist gilt auch, wenn Beschäftigte eigentlich auf eine Abfindung dringen wollen.
Wie man als Arbeitnehmer einer krankheitsbedingten Kündigung begegnen kann, sollte man mit einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt besprechen, die oder der auf Arbeitsrecht spezialisiert ist. Ein Rechtsbeistand kann die verschiedenen Möglichkeiten aufzeigen und Beschäftigte im Falle des Falles in einer Kündigungsschutzklage und vor einem Arbeitsgericht vertreten.
Lesen Sie in diesem Artikel alles über das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM), das Arbeitgeber kranken Arbeitnehmern unter bestimmten Bedingungen anbieten müssen.
- Datum
- Aktualisiert am
- 06.03.2019
- Autor
- ime,DAV