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Strafrecht

Was ist Volksver­hetzung?

Hass gibt es nicht nur im Netz: 2014 skandierten Teilnehmer einer Demonstration in Berlin antisemitische Parolen. © Quelle: Schwier/fotolia.com

Wie geht man mit hasserfüllten Äußerungen auf Facebook oder Twitter, in Kommen­tar­spalten, in Blogs und Foren um? Diese Frage beschäftigt nicht nur Politik und Gesell­schaft, sondern auch die Justiz. Denn manche dieser Äußerungen sind nicht mehr von der Meinungs­freiheit gedeckt, sondern könnten den Straftat­bestand der Volksver­hetzung erfüllen. Doch was fällt eigentlich unter Volksver­hetzung? Das Rechts­portal anwalt­auskunft.de erklärt.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So heißt es im ersten Artikel des deutschen Grundge­setzes, es ist der oberste Verfas­sungs­grundsatz. Aus diesem ergibt sich die Pflicht des Staates, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen – zum Beispiel vor körper­lichen Angriffen, aber auch vor Hass oder Herabset­zungen.

Der Staat muss nicht nur Individuen schützen, sondern auch bestimmte Personen­gruppen. Dies geschieht zum Beispiel mit Hilfe des Strafge­setz­buches (StGB) und dem Paragraphen § 130, der den Straftat­bestand der Volksver­hetzung definiert.

Volksver­hetzung: Welches Verhalten ist volksver­hetzend?

Nach § 130 StGB erfüllt ein Verhalten dann den Straftat­bestand der Volksver­hetzung, wenn es den öffent­lichen Frieden stört, indem es zu Hass, Gewalt und Willkür aufstachelt gegen „nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe[n]“ oder „gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehö­rigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung“.

Strafbar macht sich auch, wer den öffent­lichen Frieden stört, indem er „die Menschenwürde anderer dadurch angreift“, dass er eine bestimmte Personen­gruppe „beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“. Wer das Delikt der Volksver­hetzung begeht, muss unter Umständen mit einer Freiheits­strafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren rechnen.

Seit 1994 verbietet § 130 StGB, den Holocaust zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen. Wer dies tut, den können Gerichte mit einer Freiheits­strafe von bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe belegen.

Höckes Rede zum "Denkmal der Schande"

Der Thüringer AfD-Vorsitzende Bernd Höcke hatte auf einer Veranstaltung in Dresden Mitte Januar 2017 das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Mahnmal der Schande“ bezeichnet. Er behauptete, deutsche Schüler würden statt mit den kulturellen Leistungen der Deutschen mit einer Geschichts­auf­fassung konfrontiert, in der die deutsche Geschichte „mies“ und „lächerlich“ gemacht werde. Die SPD-Bundes­tags­ab­ge­ordnete Michaela Engelmeier zeigte Höcke daraufhin wegen Volksver­hetzung an. Nicht als Einzige - insgesamt lagen 91 Strafan­zeigen gegen Höcke vor.

Die Staats­an­walt­schaft Dresden stellte die Ermitt­lungen gegen den Thüringer AfD-Chef im März 2017 allerdings wieder ein. Seine umstrittene Dresdner Rede erfülle weder den Tatbestand der Volksver­hetzung noch handle es sich um eine Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, teilte die Behörde mit. Die Äußerungen seien vom Grundrecht auf Meinungs­freiheit gedeckt. Der "objektive Sinn" von Höckes Rede sei eine radikale Kritik an der Art und Weise der Vergan­gen­heits­be­wäl­tigung der national­so­zia­lis­tischen Gewalt­herr­schaft. Weil sich die Rede auch nicht direkt an die NS-Opfer gerichtet habe, sei auch keine Strafbarkeit wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nachweisbar.

Volksver­hetzung: zwischen Meinungs­freiheit, Persön­lich­keits­rechten, Beleidigung und Schmäh­kritik

Aktuell gehen die Anzeigen wegen Volksver­hetzung in die Tausende, doch tatsächlich verurteilt werden nur wenige Menschen. Einer der Gründe dafür könnte in § 130 StGB selbst liegen, denn er definiert nicht, wann genau eine Störung des öffent­lichen Friedens vorliegt. § 130 StGB beschreibt eher ein abstraktes Gefähr­dungs­delikt und lässt sich in der Praxis deshalb oft nur schwer greifen.

Beispielhaft zeigt sich das an dem Verlauf der zahlreichen Ermitt­lungs­ver­fahren wegen Volksver­hetzung gegen den Thüringer AfD-Vorsit­zenden Björn Höcke im Jahr 2016. Höcke hatte auf einer Veranstaltung etwa über die vermeintlich hohe Geburtenrate von Afrikanern vom „lebens­be­ja­henden afrika­nischen Ausbrei­tungstyp" gesprochen und diesen dem  „selbst­ver­nei­nenden europäischen Platzhal­tertyp" gegenüber gestellt. In Afrika gebe es eine Überpo­pu­lation und solange Europa diese aufnehme, werde sich nichts daran ändern.

Die Staats­an­walt­schaft in Halle prüfte, ob Höckes Äußerungen den Straftat­bestand der Volksver­hetzung erfüllten und ob der AfD-Politiker damit den „öffent­lichen Frieden“ gestört oder zu „Gewalt und Willkür­maß­nahmen“ gegen bestimmte soziale Gruppen aufgerufen habe. Das sei nicht der Fall, befand die Staats­an­walt­schaft schließlich und stellte das Verfahren ein. Höcke habe weder den öffent­lichen Frieden gestört noch zu Gewalt aufgerufen. Auch räume das Bundes­ver­fas­sungs­gericht der Meinungs­freiheit großen Wert ein, Höckes Äußerungen seien davon gedeckt, so die Staats­an­walt­schaft.

So skandalös die Einstellung der Ermitt­lungen gegen Höcke manchem erscheinen mag – sie zeigt auch, dass Volksver­hetzung kein einfach anwendbarer Straftat­bestand ist. Denn die Rechts­praxis oszilliert dabei immer zwischen der Meinungs­freiheit eines Menschen und den Persön­lich­keits­rechten von Betroffenen, sie muss zwischen Wertur­teilen, Beleidi­gungen, Schmäh­kritik und eben Volksver­hetzung unterscheiden.

Noch stärker als bei anderen Delikten muss man bei der Volksver­hetzung immer den Einzelfall betrachten. „Man muss immer schauen, in welchem Kontext bestimmte Äußerungen stehen und sie im Lichte der Meinungs­freiheit, die auch drastische, zugespitzte und polemische Äußerungen schützt, interpre­tieren“, sagt der Berliner Anwalt Dr. Ali B. Norouzi von der Arbeits­ge­mein­schaft Strafrecht im Deutschen Anwalt­verein (DAV).

Volksver­hetzung: Wann ist die Grenze zur Meinungs­freiheit überschritten?

Doch soweit die Meinungs­freiheit auch gesteckt ist – sie hat dennoch Grenzen. Wo diese liegen, kann man zum Beispiel an den Parolen festmachen, die Demons­tranten auf der Berliner Al-Quds-Demons­tration im Jahr 2014 skandierten. Organisiert war diese Demons­tration von pro-palästi­nen­sischen Initiativen. Seit Ende der 70er Jahre finden in islamischen Ländern am Al-Quds Tag alljährlich Massen­de­mons­tra­tionen gegen Israel statt.

Bei der Berliner Kundgebung 2014 riefen die Demo-Teilnehmer etwa: „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf’ allein“. Solche Aussprüche sind nicht von der Meinungs­freiheit gedeckt und überschreiten den Tatbestand der Beleidigung. „Hier haben wir es mit einer sehr proble­ma­tischen Aussage zu tun, die man durchaus als volksver­hetzend werten könnte“, sagt der Strafrechts­experte Dr.  Norouzi.

Diese Parole würde eine Gruppe von Menschen nach ihrer Religion klar abgrenzen und herabsetzen. Ein sachlicher Bezug könnte allein durch den zweiten Halbsatz mit Blick auf das damalige militä­rische Handeln Israels in Gaza angenommen werden. Aber es stelle sich die Frage, warum die Rufer dieses Spruchs Juden mit Israel gleich­setzten. Die Unterstellung sei hier, dass alle Juden das militä­rische Handeln Israels gutheißen würden, so Norouzi.

Volksver­hetzung: Welche Strafen können drohen?

Auch in anderen Fällen ist klar, dass die Meinungs­freiheit weit überschritten und der Straftat­bestand der Volksver­hetzung erfüllt ist. So verurteilte das Amtsgericht im bayerischen Wolfrats­hausen Anfang 2016 einen 30jährigen Mann wegen rassis­tischer Facebook-Kommentare zu einer Freiheits­strafe von sechs Monaten auf Bewährung. Er hatte in zwei Kommentaren unter ein Bild von angeblichem Müll von Asylbe­werbern von Erschießung und Vergasung geschrieben.

Das Gericht verurteilte den Mann auch zu 80 Sozial­stunden, die er in einer Einrichtung absolvieren musste, die Asyl- und Flücht­lingshilfe leistet. Strafmildernd wirkte sich die Entschul­digung des Mannes aus.

Im März 2016 wurde ein Mann aus dem sachsen-anhalti­nischen Stendal wegen Volksver­hetzung und Verwendens von Kennzeichen verfas­sungs­widriger Organi­sa­tionen zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen à 30 Euro (insgesamt 3900 Euro) zahlen. Auf seinem Facebook-Auftritt hatte er von „Drecksy­rierpack“ geschrieben und ein Bild von  Adolf Hitler gepostet.

In einem weiteren Fall wurde im September 2017 ein Ex-Soldat zu einer Geldstrafe in Höhe von 3750 Euro verurteil, weil er auf Facebook gegen Flüchtlinge und Ausländer gehetzt hatte. Als er noch Berufs­soldat gewesen sei, habe der Mann Ausländer und Flüchtlinge im Internet auf üble Weise beleidigt und beschimpft. Dies erfülle den Tatbestand der Volksver­hetzung, befanden die Gerichte. Inzwischen habe der Mann die Bundeswehr verlassen. Das Oberlan­des­gericht Hamm bestätigte damit entspre­chende Urteile von Amts- und Landgericht in Detmold wegen Volksver­hetzung - das Urteil ist damit rechts­kräftig (Az.: 4 RVs 103/17).

Der Straftat­bestand der Volksver­hetzung kann übrigens neben strafrecht­lichen Folgen auch Konsequenzen für die eigene Arbeits­stelle haben, denn Kündigungen etwa wegen rassis­tischer Posts oder fremden­feind­licher Äußerungen gegenüber Kollegen sind möglich.

Datum
Aktualisiert am
27.09.2017
Autor
ime
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Verbrechen Vergehen

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